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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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Gundlfinger gesprochen hatte? Auch die hätten Laser-Waffen gehabt, Laser macht keinen Lärm, tötet mit leisem Zischen. Das Krachen aber hatte sich wie die Feuergarbe einer Maschinenpistole angehört.
    Nun waren sie an der Tür. Höllriegl öffnete einen Spalt und spähte ins Freie. Alles ruhig. Die Krähen saßen wieder gewichtig auf ihren Ästen. Der Nebel war dichter geworden, der Himmel sah blaßgelb und winterlich aus. Nichts rührte sich. Friede! Friede! Wo war der Krieg?
     
    Sauckelruh zeigte schon nach wenigen Stunden ein anderes Gesicht. Die Flüchtlingsspitze hatte am Morgen den Harz erreicht, und Abertausende, auf allen möglichen Fahrzeugen hockend oder aus ihnen heraushängend, drängten nach. In der Hauptsache waren es drei Heersäulen, die aus dem Nordwesten des Reiches kamen und sich in die Ebenen Mitteldeutschlands ergossen. Auch der Gau Halle-Merseburg (Höllriegls Gau) wurde überschwemmt. Überall war die Hölle los, und obgleich es stellenweise zu blutigen Zusammenstößen kam, erwiesen Polizei, SS und SD sich dieser unmenschlichen Spring- und Sintflut gegenüber als machtlos, und es hatte den Anschein, als wäre auch die rettende Arche verbrannt. Vor den panischen Zügen wanderte unsichtbar, auf allen Gesichtern sich abzeichnend, die feurige Wolke der ersten Atomnacht. Ein Entsetzen, irgendwie neuartig, zugleich aber doch uralt, so als hüpften hinter den Gehetzten in Riesensprüngen die Saurier der Vorzeit einher, breitete sich aus. Man spürte diese Lähmung wie eine bleierne Decke über sich, auch wenn man mit dem Flüchtlingsstrom nicht unmittelbar in Berührung kam. Doch das war bei weitem nicht das Schlimmste. Das Schrecknis war, daß man die Sinnlosigkeit dieser Flucht auf Anhieb begriff.
    Bald waren Straßen und Fahrwege mit Wagen dicht verstopft. Laster, Caravans, eine Unzahl von Pkw, vollgepfropft mit in furchtbarer Eile zusammengerafften Gegenständen: Hausrat, Koffern, Kleiderbündeln, oft aber auch mit ganz dummen, gespenstischen Dingen, drängten sich auf allen nur halbwegs tauglichen Bahnen. In Sauckelruh war die Überfüllung besonders arg. Wie Höllriegl richtig vermutet hatte, lag der Ort am Ende eines Tals, und die „Verbindungsstraße“ (als solche war sie gekennzeichnet) hatte da ein Ende. Auch alle anderen Zufahrten von Wohlstand herauf quollen über. Man konnte weder vorwärts noch zurück, aus den sich stauenden Wagen kletterten wütende, verzweifelte Menschen. Niemand hatte mehr Treibstoff, die Tankstellen waren verödet. Jene, die von weit her gekommen waren und schon vor der Flucht seichte Tanks gehabt hatten, blieben bald auf der Strecke. Zu beiden Straßenseiten, aber auch auf der Fahrbahn häuften sich die Wracks.
    Die einzige Erleichterung in dem Chaos war: es gab auf einmal mehr Wasser, obwohl, wie es offiziell stets geheißen hatte, die katastrophale Dürre im Spätsommer und Herbst für die Wasserverknappungen verantwortlich sein sollte. Dieser Umstand, zwar als Wohltat empfunden, beflügelte nur das Gerücht, die Wassernot wäre die Auswirkung einer jener aus heiterem Himmel angeordneten Ertüchtigungsübungen des sattsam bekannten „Landgraf werde hart“-Programms. Oder wie ein Flüchtling, mit dem Höllriegl ins Gespräch kam, es ausdrückte: „Nu habense in die Hose jemacht und dabei Wasser jelassen.“ (Man konnte nicht übersehen, daß der Mann auf dem Kühler mit schwarzer Farbe neben dem Atompilz das Bundschuh-Zeichen aufgemalt hatte; diesem Zeichen begegnete man jetzt dort und da, immer unverhohlener trat es zutage.) Die Erleichterung erwies sich als trügerisch, sie sollte nur einen einzigen Tag dauern. So plötzlich, wie sie gekommen, war sie auch wieder vorbei.
    Höllriegl hatte, vielleicht weil er Amtswalteruniform trug oder Schicketanz sympathisch war, von diesem eine markenfreie Treibstoffreserve „als Wegzehr“ mitbekommen, er hätte sie gar nicht nötig gehabt. Sie entpuppte sich aber bald als unschätzbares Glück. Auch das Wagenradio war wieder intakt. Zudem beschrieb ihm der Mechaniker einen tief im Wald bergauf und bergab führenden Karrenweg, auf dem er „ohne Rücksicht auf Verluste“, wie Schicketanz sagte, die unpassierbar gewordenen Straßen umgehen konnte. Das alles wurde hintenherum besprochen, denn die Werkstätte war von Atomflüchtlingen belagert, die zu allem entschlossen schienen und sich gegenseitig mit Geld überboten, um zu Treibstoff zu gelangen. Nur weil Schicketanz und sein Gehilfe MP umgehängt hatten, konnte

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