Wenn das der Führer wüßte
allem die Härte, die Kraft und den Mut, die Geschicklichkeit und List (es war jene sprichwörtlich gewordene „nordische List“ des ränkereichen Loki), womit sie das Leben meisterten. Diese Übermenschen waren schon immer seine Idole gewesen, und auch Anselmas Hohn konnte dagegen nichts ausrichten. Seit jeher hatte ihn alles Nordische, Heldische angezogen, er setzte es mit dem Männlichen in der Schöpfung, mit dem Zeugungsprinzip, mit der erobernden Mannheit gleich. Auch die Bernsteinhexe war ja ein männliches Wesen, trotz ihren brutal-geschlechtlichen weiblichen Reizen. Die „asischen“ Wesen waren schön von Natur aus, nur war ihre Schönheit herb und hart und sieghaft, sie waren schön, wie der Kampf schön ist. Axels Schönheit dagegen hatte eine Form, die an das Paradies, an Stille und Unschuld erinnerte. War diese Schönheit teuflisch, weil sie jüdisch war? …
Mit tränenden Augen und Schmerzen in den Gliedern, stechend in den Gelenken, brachte Höllriegl den Wagen auf kurvenreichen Wegen langsam zu Tal. Das Radio war eingeschaltet; es plärrte Marschmusik oder gab Siegesmeldungen von sich. Anscheinend war es auf dem Kontinent überall gelungen, den aus der Luft gelandeten Feind einzukesseln. In Oberitalien, Finnland und Portugal sahen nach Anfangserfolgen die Invasoren in erbitterten Kesselschlachten der Vernichtung entgegen, jeglicher Nachschub konnte unterbunden, die Vorstöße abgeriegelt werden; auch auf der Krim und in Mittelrußland waren die Luftbrücken des Feindes zusammengebrochen. Nur über Eire, das hauptsächlich von Verbänden amerikanischer Freischärler zu einem „Flugzeugmutterschiff“ auszubauen versucht worden war, tobte zur Zeit noch eine Luftschlacht größten Ausmaßes. In allen Einbruchsgebieten waren SS und SD zu massiven Vergeltungsaktionen gegen jene Bevölkerungskreise angetreten, die Verrat an der Neuen Ordnung geübt hatten, indem sie den Feind unterstützten.
Die eine Hand am Steuerrad, mit der andern am Radioknopf drehend, von Sehstörungen gefoltert, konnte sich Höllriegl nicht viel um Axel kümmern. Als er wegen eines Hindernisses kurz anhielt und einen Blick auf den Begleiter warf, sah er mit Schrecken, daß Axels Züge verstört waren. In seinen müden Augen glänzten Tränen, und Höllriegl bemerkte, daß er die Augen mit der Hand beschattete, obwohl das Licht im Wald düster war. Schweigend fuhren sie weiter; doch von Zeit zu Zeit streichelte Höllriegl Axels linke Hand.
Wieder wallte in Höllriegl jenes sonderbar warme Gefühl auf, einen Menschen beschützen zu dürfen, für jemanden verantwortlich zu sein. Er hatte das nie müssen. Freunde hatte er keine gehabt, nur Kameraden, was vielleicht mehr war, aber echte Freundschaft nicht ersetzen konnte. Und zu Frauen hatte er („ich mach mir da nix vor“) nur Bettbeziehungen. Was er manchmal für Liebe hielt, war im Grunde nackte Gier, Geilheit, war Strohfeuer – das fühlte er schmerzlich, aber er betrog sich gern, weil es keinen andern Ausweg gab. Anselma hatte es ihm ins Gesicht gespuckt, und es war unerhört richtig gewesen. Ein Waschlappen, ein zur Liebe unfähiger Schwächling, ein verkappter Romantiker – bestenfalls!
Die Nachrichten wirbelten durcheinander wie Schneeflocken (die jetzt faktisch aus dem schwärzlich verfärbten Himmel fielen) und überpurzelten sich: „– – – die Römische Kurie von Köpfler auseinandergejagt – – – der Leichnam des Dalai-Lama auf unerklärliche Weise aus der Kölner Klinik verschwunden – – – jede Tätigkeit der Kongregationen des Santo Officio, die bis jetzt vom Reich und vom Obersten Faschistischen Rat nur oberflächlich kontrolliert worden waren, ab sofort eingestellt – – – Gerüchte, wonach in einem Latza, das ist eine Opferstätte auf Bergeshöhen, der Pan-tschhen Rin-po-tschhe aufgetaucht sei und die Leiche des in Köln verstorbenen Dalai-Lama bei sich habe – – – alle Beteiligungen des Vatikans an Banken, vor allem am Banco di Roma und an der Banca di Santo Spirito, an Gruben, Textilfabriken, Erdölgesellschaften, Stahlwerken, Schiffahrt- und Luftfahrtunternehmungen, an der Wallfahrtindustrie und sogenannten Gnadenorten von der Deutschen Bank und dem Credito Italiano im Verhältnis drei zu eins übernommen. Festgestellt wird, daß der Anteil der Kirche an den Aktienpaketen aller dieser Unternehmungen im Durchschnitt bei 65 vom Hundert liegt. Der gesamte Grundbesitz der Römischen Kirche fällt in allen Ländern, die unter
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