Wenn das der Führer wüßte
Dunkel. Das Weltreich Adolf Hitlers erbebte in seinen Grundfesten – und mit ihm das Weltreich des Soka Gakkai.
Die Person des ermordeten Führers – denn daß Hitler gewaltsam geendet hatte, stand nun fest, nur über die Todesart waren die Meinungen geteilt – schien heiß umstritten. Selbst unter Hitlers fanatischesten Gefolgsleuten befanden sich nicht wenige, die die Außenpolitik der letzten Jahre scharf verurteilten. Der Führer, so sagten sie, hätte sich die Soka-Gakkai-Bewegung mit ihren mehr oder minder gleichartigen Zielen dienstbar oder wenigstens geneigt machen müssen; statt dessen hatte man mit reaktionären Cliquen um den Tenno, also mit den falschen Leuten verhandelt, es war viel über Shinto, Gottkaisertum, Bushido, Samurai-Geist und ähnlichen feudalistischen Kram herumgefaselt worden, die diplomatischen Bemühungen aber, die beiden Weltblöcke ideologisch einander näherzubringen, ihre Ziele gleichzuschalten, waren unzulänglich, um nicht zu sagen: dilettantisch gewesen. In diesem Zusammenhang wurden auch Rosenberg und Ribbentrop schwer angegriffen (man sprach von „Weinreisendenpolitik gegen Kamikaze“), weil ja solche und ähnliche Unterlassungssünden ihre Wurzeln in der Politik der ersten Nachkriegsjahre hatten. Kurzum: der größte Sieg der deutschen Geschichte war nur ein halber gewesen – man hatte es offensichtlich versäumt, den Frieden zu gewinnen. Auch über das (zweifellos gigantische) Rüstungspotential des Gegners und den Stand seiner Waffentechnik herrschten unklare Vorstellungen. Die Abwehr war den gelben Täuschungsmanövern aufgesessen.
Ungeachtet dessen machte der Vergottungsprozeß in bezug auf den Führer rasche Fortschritte. So enthob der „Deutsche Christen e. V.“ ganz offiziell Frauja oder Kristos, den Menschensohn, seiner angestammten Mittlerrolle zwischen „gotfater“ oder dem „angerufenen Wesen“ und den Menschen und setzte Adolf Hitler an seine Stelle. Aus dem Meldegänger des ersten Weltkrieges wurde im Handumdrehen der über den Wolken thronende Gottmittler, und in den Kirchen und Heiligen Hainen dieser mächtigen, volkstümlichen Glaubensbewegung, die von Partei und Staat nach Kräften unterstützt worden war, entfernte man in aller Stille die Fraujastatuen und ersetzte sie durch Hitler-Büsten. Es war das Werk von wenigen Stunden. Und der Vorsitzer des Reichsbruderrates, einer gleichfalls weitverbreiteten völkischen Sekte, die sich „Nordische Christen“ nannte, Oberapostel Dr. Nimmshin (Dahlem), verkündete in einer Rundfunkweihestunde – Höllriegl hatte sie noch vor wenigen Tagen gehört –, der Führer sei nun, seinem übersinnlichen Rang entsprechend, den zwei Personen der Trinität, dem Sohn und dem Geist, gleichgestellt. Im „Rahmen einer Erleuchtung“, so hatte es Dr. Nimmshin wortwörtlich ausgeführt, sei er innegeworden, daß Adolf Hitler in der Ewigkeit alle militärischen Obliegenheiten übernommen habe; es wäre des Führers nunmehrige oberste Pflicht, ständig „Tuchfühlung mit den himmlischen Heerscharen“ zu halten.
Das Bundschuhtreffen in Stolberg war keine leere Drohung gewesen, es hatte stattgefunden, wenn auch nicht, wie zuerst beabsichtigt, als Massenkundgebung. Der Flüchtlingsstrom aus dem Westen und der Antransport so gewaltiger Menschenmengen aus allen Gauen zum Kyffhäuser hatten dies verhindert. Immerhin waren die Kerntruppen der straff organisierten Bauernschaft aufmarschiert. Ungestört! Firbas stellte nämlich kurzerhand die Kundgebung unter Stapo- und Gendarmerieschutz.
Ursprünglich, so hieß es, hatte die Führung des „Armen Konrad“ den Plan gehabt, die Trauerfeier auf dem Kyffhäuser einzukreisen, Stoßtrupps einzuschleusen und Köpfler samt seiner Brut zu schnappen. Dieses Vorhaben wurde in letzter Minute fallengelassen – SS , Werwolf und Gestapo waren in solchen Massen aufgeboten worden, daß der Bundschuh sich an dem Handstreich verblutet hätte. Außerdem war die Wehrmacht noch immer das große Fragezeichen. Manche Verbände der Luftwaffe hatten zwar offen gegen Köpfler rebelliert, doch RAK- und Panzerwaffe warteten ab. Die SA war möglicherweise in ihrer Gesamtheit gegen den „Waldteufel“.
Höllriegl erfuhr (und es stockte ihm dabei der Herzschlag), daß vor dem Thomas-Münzer-Denkmal in Stolberg die aus dem Untergrund aufgetauchten Unseld und Diebold gesprochen hatten. Eine nach Tausenden zählende Zuhörerschaft jubelte ihnen frenetisch zu, als sie den Kopf des Anmaßers forderten.
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