Wenn das der Führer wüßte
Puppen, die Köpfler und den nach ihm bestgehaßten Mann, SS -Brigadeführer Säusele, darstellten, wurden unter Sprechchören öffentlich gehenkt. An dieser symbolischen Hinrichtung nahmen nicht nur die „Antlitzlose Führung“ des Bundschuhs und – man höre und staune – schwerbewaffnete motorisierte Verbände des Asgard-Ringes teil, sondern auch hohe Amtswalter und Abordnungen des Reichsnährstandes, der DAF, der NSV und anderer „diversiver“ Parteigliederungen, die sich aber ihrerseits als loyal oder hitlertreu bezeichneten, womit sie andeuten wollten, daß sie nur der alten, gemäßigten Parteilinie zu folgen bereit waren. Allgemein beachtet wurde die Teilnahme des über Nacht gebildeten Notausschusses der Atomvertriebenen.
Firbas hatte machtvoll durchgegriffen und es faktisch zuwege gebracht, daß große Teile der Exekutive, hauptsächlich der Staatspolizei und Feldgendarmerie, zum Bundschuh übergingen oder ihm zumindest die Mauer machten. Überall im Land wurden SS -Kasernen, Ordensburgen, Reichszuchtanstalten, Napolas und ähnliche Brutstätten des Werwolfs unter Beschuß genommen. Ganz allgemein konnte gesagt werden, daß Werwolf und SS vom flachen Land so gut wie verschwunden waren, sich entweder in ihre Schlupfwinkel im Gebirge oder in die großen Städte zurückgezogen hatten. Die rein agrarischen Gebiete des Reiches, insbesondere des Ostens, hatte der Bundschuh fest in seinem Griff. Es waren dies auch jene Gegenden, in die die meisten Flüchtlinge aus dem Westen einströmten, Menschen, die vor den Todesstrahlen von Lemgo geflohen waren. Die Flüchtlinge aus dem Ostrauer Kohlenrevier – dort war bekanntlich die zweite große Bombe explodiert, über deren verheerende Neutronenstrahlung Gundlfinger berichtet hatte – wandten sich instinktiv nach Norden, nach Niederschlesien, oder westwärts ins Sudetenland, denn weiter nach Osten wagten sie sich nicht – dort sollte es ja von gelben Guerillas und UmL-Partisanen nur so wimmeln. Die (vermeintliche) Atombombe, die auf das Allgäu gefallen war, hatte sich hinterher als „harmlos“ erwiesen, war allerdings von furchtbarer Feuerkraft gewesen – eine hochthermische Bombe. Ob weitere Kernwaffen das Reichsgebiet getroffen hatten, war unbekannt. Gemunkelt wurde davon, aber niemand traute sich, derlei mit Sicherheit zu behaupten. Das irre Durcheinander im Äther ermöglichte keine Klarsicht.
Die in den Städten festsitzende SS hatte nämlich alle wichtigen Sendenetze unter Kontrolle, diese waren daher nach wie vor Instrumente der Köpfler-Propaganda, brachten gespenstisch normale Programme und die üblichen regierungsfreundlichen Nachrichten. Mit einer Unverfrorenheit sondergleichen wurde Hitler in den Himmel gehoben, dabei aber Köpfler stets als sein Vertrauter und engster Mitarbeiter, als der allzeit getreue Paladin und Willensvollstrecker des Weltreichsgründers gepriesen, den man allgemein nur noch Adolf den Großen nannte – nichts deutete auf den Riß hin, der wie ein Schützengraben durch das Reich lief, wie überhaupt jedwede Andeutung, es gäbe so etwas wie Bürgerkrieg, geflissentlich vermieden wurde. (Bloß die verschlüsselten Durchsagen mehrten und mehrten sich.) Der Hauptstoß propagandistischer Ablenkung richtete sich naturgemäß gegen den äußeren Feind, und wenn man auch die Thor- und Ausra-Erfolge, was vielleicht berechtigt war, groß aufmachte, so war man unter dem furchtbaren Druck der Ereignisse – und nicht, wie Höllriegl einmal einwandte, in folgerichtiger Anwendung des Landgraf-werde-hart-Programms – doch dazu übergegangen, dem Volk die ganze Wahrheit zu sagen: Erstens, daß nicht erreicht worden war, den Feind in seinem eigenen Land binnen weniger Stunden zu vernichten (man hätte da schlagartig die halbe Welt vernichten müssen); zweitens, daß im Gegenteil ein atomarer Großangriff des anscheinend ungeschwächten und mehr denn je erbarmungslosen Gegners unmittelbar bevorstand (Strahlenvoralarme und Strahlenalarme lösten einander ab); und drittens, daß der Feind „in den europäischen Schutzgebieten des Reiches an mehreren Stellen“ Fuß gefaßt hatte und der Nachschub aus der Luft, obgleich unter heftigem Störfeuer liegend, keineswegs zusammengebrochen war.
Offiziell bezeichnete man den augenblicklichen Kriegszustand als „eingeschränkt atomar“; der Ausdruck „totaler Atomkrieg“ kam in den Meldungen („Wehrmachtberichte“ im historischen Sinn gab es nicht) nie vor, obzwar – wie ja die Geschehnisse
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