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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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Hinweis auf eine bestimmte Maschine, die Art des mitzunehmenden Gepäcks und der Ausrüstung. (Höllriegl erinnerte sich flüchtig, was ihm Gundlfinger verraten hatte.) Auf dem Plan – klar, es war ein Fluchtplan – war eine Stelle angekreuzt, nordwestlich von Thale, in Richtung Quedlinburg. Der Treffpunkt.
    „Ulla – was heißt Gurnemanz?“ Er forschte in ihrem Gesicht und merkte mit Bestürzung, daß ihr Blick wieder stumpf und trüb war. „Schwarzer Jugurtha“, flüsterte sie, und ein Zittern lief durch ihre Glieder, „wirst du mir weh tun?“ Eine fixe Idee. Er streichelte sie, sprach begütigend auf sie ein. Also war sie doch plemplem. Hoffnungslos. Wo war sein Mantel? Er fand ihn und legte ihn um ihre nackten Schultern, hüllte sorglich ihren Leib damit ein.
    Thale. Dorthin war es nicht allzu weit. Er kannte die Straße, war sie manchmal gefahren. Über Rottleberode, Stolberg, Guntersberge – mit dem Wagen eine Kleinigkeit. Aber zu Fuß, in diesem Chaos? Mit einer Kranken? Immerhin: es war ein Ziel, ein bestimmtes Ziel.
    Also auf nach Thale! Der Strahlung entgegen, ihr direkt in die Arme – es war Wahnsinn, der Tod. Egal. Und wenn es in die Hölle ginge!
    Der Himmel hatte sich brandig verfärbt, eine fahle Sonne schwebte wie ein künstliches Gestirn in den tief dahinfliegenden lavafarbenen Wolken. Die orangene Feuerwand war erloschen – an ihrer Statt hatte sich ein fleckiges Rosa über den westlichen Horizont ausgebreitet. Es war das Rosa des Führerbildes in Höllriegls Wohnung.
     
    Er konnte nicht einschlafen, mit brennenden, tränenden Augen starrte er ins Dunkel. Und obwohl er so müde war, als habe man ihm jeden Knochen im Leib einzeln zerschlagen, zuckten ihm die Nerven. Es roch muffig und säuerlich hier – seine aufgerauhten Sinne registrierten Menstruation, Säuglingspflege, Abpumpen von Muttermilch. Gräßlich! Neben ihm auf dem Feldbett lag Ulla, zusammengekrümmt wie ein Embryo. Seine Hand tastete über ihr Gesicht. Sie schnarchte leise, der Mund stand offen.
    Er hatte sie heute zweimal gehabt. Das eine Mal in einem Erdloch nach Rottleberode. Während einer kurzen Rast hatte sie sich ihm aufgedrängt, schamlos, sie hatte dabei Kekse gekaut. Und auch ihre Notdurft hatte sie immer vor ihm verrichtet. Das zweite Mal hier im „Zumuklo“, dem Zuchtmutterkloster. Da hatte sie sich auf einmal wie eine Wilde gewehrt, als er sie haben wollte, und er hätte sie beinah erwürgt. Das erste Mal war abzuwerten – eine Halbidiotin, die alle Hemmungen fallenläßt, zählt nicht, auch wenn sie Frau von Eycke heißt. Das zweite Mal … Es war weiter nicht aufregend, bloß anstrengend. Das Paradies, das er sich erhofft hatte, gab es nicht. Auch das war abzuwerten. Und doch wurde sie langsam, allmählich, Schritt für Schritt (es waren Hühnerschritte) wieder sie selbst. Sogar ein Hauch von ihren alten Stallburschenmanieren wehte ihm dann und wann entgegen – das machte ihn glücklich. Es war sein einziges Glück.
    Er hatte es auf der langen, langen Wanderung bemerkt. Plötzlich war sie gesprächig geworden, anfallsweise, meist zusammenhanglos – jedenfalls: sie redete. Den verworrenen Bildern, die ihren Verstand verfinsterten und niederhielten, war manches zu entnehmen. Vermutlich hatte ihr Manfred die chiffrierte Botschaft überbracht, Herr von Eycke dürfte sie verfaßt haben. Gurnemanz? Höllriegl erriet aus den teils widersinnigen, teils vernünftigen Sätzen, daß Gurnemanz der familiäre Spitzname des Kastellans war – der ihm damals den Auftrag zum Pendeln übermittelt hatte. Dieser „Gurnemanz“ war anscheinend damit betraut gewesen, die Flucht der Familie vorzubereiten und auch dafür zu sorgen, daß sich alle – die Zwillinge inbegriffen – an einem bestimmten Ort trafen, eben in der Nähe von Thale. Höllriegl entsann sich dunkel, gehört zu haben, daß die SS in der dortigen Gegend, im ebenen Waldland an der Bode, einen gutgetarnten und schwerbefestigten Fliegerhorst besaß. Sollte dieser trotz der Schlacht um Stolberg noch betriebsfähig sein? Wahrscheinlich wäre der Fluchtplan der Eyckes geglückt, wenn die Japse die einzigen Gegner gewesen wären.
    Wieder fiel ihm Gundlfinger ein. Es war auffallend, daß Herr von Eycke oder sonstwer das Kryptogramm in Zeichen abgefaßt hatte, die, wie der Fachmann auf den ersten Blick erkannte, dem sogenannten jüngeren nordischen Runenalphabet angehörten, also nicht dem gemeingermanischen „Futhark“, das jeder Pimpf lesen konnte. (Nur das

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