Wenn das der Führer wüßte
zermörsert, ein verkohltes Gerippe. Von den Hunden lebte nur einer, er war wie durch ein Wunder heil, die Kadaver der vier andern staken in den Halftern. Während Jugurtha und der junge Industrielle nach Vorräten suchten – es gelang bloß, ein paar Konservenbüchsen zu bergen –, sprang der arme Teufel winselnd an ihnen empor und leckte ihre Fäustlinge.
Der Feind hatte entweder mit Brandmunition geschossen oder Benzinkanister abgeworfen. (Nach Napalm sah es nicht aus.) Ein Verwundeter, der Jugurtha um eine Zigarette anging, erzählte, er habe einen stoßweisen Feuerstrahl aus den angreifenden Maschinen hervorbrechen gesehen – das war aber wohl Einbildung. Wie sich herausstellte, hatte es die sogenannte Nachhut, also etwa fünfundzwanzig Schlitten und deren Insassen, die hinter dem Krankenschlitten gefahren waren, am bösesten erwischt. (Die Überreste der allerletzten Schlitten lagen noch verstreut auf dem Eis des Flüßchens.) Es war nämlich die Ladung Karabiner mehrmals getroffen worden, die Munitionskisten hatten Feuer gefangen und waren in die Luft geflogen, zum Glück nicht auf einmal, sondern nach und nach.
Plötzlich fielen Schüsse. Da einer, dort einer. Rasch niedergeduckt, Jugurtha zog die Pistole, der Industrielle war unbewaffnet. Jugurthas Karabiner mußte irgendwo unweit im Schnee liegen, er hatte ihn fortgeworfen, als er Sigga in Sicherheit brachte. Die Schüsse verdichteten sich zu regelrechtem Schützenfeuer, auch das Taktaktaktak eines MG war zu hören. Hier liegenzubleiben und anzufrieren hatte keinen Sinn, er mußte mit der Spitze Fühlung nehmen – wo waren eigentlich der Oberbaurat, Kircheiß und Laale? Lebten sie? Von verirrten Projektilen umschwirrt, suchte er die Waffe und fand sie auch. Durch den Schnee liefen kreuz und quer die Spuren des MG-Feuers der Tiefflieger, auch der Karabinerkolben wies Schußschäden auf. Nun sollte der Industrielle beim Krankenschlitten bleiben und mit dem ollen 98 K die Weiber beschützen.
Im Zwielicht der arktischen Nacht sprang oder kroch Jugurtha nach vorn. Die Brände waren im Verglimmen, Flocken fielen vereinzelt vom niedrigen Himmel, ein Zeichen, daß es wärmer war als am Morgen. Das Gewehrfeuer ebbte ab, wurde dann und wann zwischen kurzen Pausen wieder lebhafter. Es schien von allen Seiten zu kommen, das war aber wohl eine akustische Täuschung, der Schall hatte in der Steppe seine Tücken. Teilweise mochten die Schüsse auch von den eigenen Leuten herrühren.
Von Zeit zu Zeit wurde er angerufen, ein Schwerverletzter, dessen Pelz über und über besudelt war, flehte um den Gnadenschuß, er kümmerte sich nicht darum. Nur einmal stutzte er. Aus einem der Schlittenwracks hing eine Leiche, die tödliche Kugel dürfte den Mann beim Herausspringen ereilt haben, das Gesicht war nach oben gekehrt. Dieses joviale Lächeln, noch als Grimasse gewinnend, kannte er doch. Es gehörte jenem steirischen Hüttendirektor, der so sehr geunkt hatte. Schau, das Sterben konnte auch heiter sein.
Der Oberbaurat und die Geologen – sie lebten, im Näherkommen unterschied er ihre Stimmen – hatten sichtlich im Vorderabschnitt der Karawane Ordnung in das Chaos gebracht. Hinter den Schlitten oder deren Überbleibseln hockten hier überall Leute, die Gewehre im Anschlag, es war imponierend. Er redete einen an, der ihm bekannt vorkam – ja, der hatte gestern mit ihm Wache geschoben und unentwegt Witze erzählt, Köpfler-Witze und auch sehr unappetitliche. Der Mann sagte, Kircheiß versuche, das UKW-Gerät, das im Führerschlitten verstaut war, allerdings zerlegt, einsatzfähig zu machen. Man wollte SOS funken und den von AL Ju 12 entgegengeschickten Trupp, der Funkausrüstung besaß, herbeilotsen, vom Lager Transport- und Kampfhubschrauber anfordern und so weiter. Ob das gelingen würde …?
„Wie siehts da unten aus?“ fragte der Oberbaurat, der Jugurthas ostmärkisches „Heitla“ geflissentlich zu überhören schien, als dieser mit erhobenem Arm antrat.
„Schlecht“, sagte Jugurtha. „Schlecht bis gar nicht.“ Der schnoddrige Ton des Oberbaurats wurmte ihn. „Vom Proviant ist kaum mehr was übrig.“
„Gehen Sie zurück und führen Sie alles, was noch ein Gewehr halten kann, hier herauf. Wir müssen uns einigeln. Verwundete lassen Sie dort, wo sie sind – denen können wir ja doch nicht helfen, sie sind unnütze Fresser. Und Waffen, was sie zusammenkratzen können, und den restlichen Proviant. Jeder Schuß ist kostbar. Auch jede Konserve ist kostbar.
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