Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
wollte dir noch ein bisschen Zeit geben und das hier abrasieren.“
„Nein!“, platzte sie heraus und handelte sich einen irritierten Blick ein. „Ich meine bloß … ich dachte …“, stammelte sie verlegen. „Also, vielleicht solltest du es so lassen. Ist vielleicht keine schlechte Tarnung, falls das Kollektiv weiß, wie du aussiehst.“
Er zog ungläubig die dunklen Brauen zusammen. „Fühlst du dich so weit gut?“
War er auch noch ein Hellseher? Nein, sie fühlte sich überhaupt nicht gut. Schließlich hatte sie das Gefühl, ihr ganzer Körper sei von einer sexgierigen Schlampe besessen.
Wenn es nur letzte Nacht passiert wäre, in der Hitze des Augenblicks, dann hätte sie das beiseiteschieben und vielleicht sogar vergessen können. Aber so war es ja nicht. Sogar jetzt noch, trotz seiner abweisenden Haltung, würde Saige sich ihm am liebsten in die Arme werfen. Es war, als hätte sie sich irgendein erotisches Dschungelfieber eingefangen – das sie dazu trieb, mit Michael Quinn so schmutzige Sachen anzustellen, wie sie überhaupt nur möglich waren.
Jedenfalls war da eine wilde, ungezähmte Lust in ihr, in ihrem Kopf waren gewisse Vorstellungen so klar, so atemberaubend präzise, dass sie meinte, sie könnte sie mit den Händen berühren. Ihn berühren. Er hatte sie durcheinandergebracht wie kein Mann zuvor, und jetzt konnte sie ihren verräterischen Körper nicht mehr davon abbringen, nach ihm zu lechzen.
Ausgerechnet jetzt musst du dich in eine Nymphomanin verwandeln, du trauriges kleines Weibsstück.
Mit gefurchter Stirn konnte Saige sich nur zu gut vorstellen, was Quinn in seinen Bericht für die anderen hineinschreiben würde. Subjekt neigt zu peinlichen Zurschaustellungen von Lust. Empfehle, dass alle Männer in ihrer Gegenwart auf der Hut bleiben.
Mannomann. Das würde ihre Brüder bestimmt schwer beeindrucken.
Ihre Suche nach der Wahrheit über die Merricks sollte vor allem Ian und Riley beweisen, dass sie und Elaina nicht verrückt waren. Sie wollte, dass ihre Brüder sie als seriöse Wissenschaftlerin betrachteten. Eine Akademikerin. Als männerverschlingende Verrückte wieder in ihrem Leben aufzutauchen war nun gerade gar nicht das, was sie im Sinn gehabt hatte.
Sie beobachtete Quinn aus den Augenwinkeln und hasste die Art, wie ruhig und gesammelt er erschien, als würde er die sexuelle Spannung zwischen ihnen überhaupt nicht wahrnehmen. „Also, tun wir so, als ob letzte Nacht gar nichts passiert wäre?“
Für den Bruchteil einer Sekunde verkrampften sich seine Muskeln. Es überraschte ihn, dass sie das überhaupt zur Sprache brachte. Na ja, schließlich hatte sie sich selbst überrascht, die Worte waren einfach so gekommen, ohne dass ihr Bewusstsein daran beteiligt war. Vielleicht hatte diese überstürzte Flucht durch den Dschungel bei ihr irgendwelche Schräubchen gelockert, und jetzt redete sie wirres Zeug, als hätte ihr Mund seinen eigenen Willen.
„Man hat mich hierhergeschickt, um dich zu beschützen, Saige.“ Er wandte sich ab und stopfte den Rasierer in den Seesack. „Und um dich heil und gesund zurück nach Colorado zu bringen.“
Sie hob eine Braue und wartete, dass er sich wieder zu ihr umdrehte und erklärte, was das mit der körperlichen Anziehung zwischen ihnen zu tun hatte, aber er blieb stumm.
„Na dann.“ Ihr Blick wanderte zum Fenster, hinter dem sich die Skyline der Stadt wie ein urbaner Dschungel unter der brennenden Sommersonne erstreckte. Sie zögerte einen Moment und dachte über die nächsten Schritte nach, die sie unternehmen musste. Eigentlich waren sie schon seit letzter Nacht klar. Seit der Sekunde, in der sie erblicken musste, was der Casus ihren Freunden angetan hatte.
Quinns gleichgültige Reaktion auf ihre Frage mochte wehtun, aber das machte ihre Entscheidung eigentlich nur leichter.
„Hier in Sao Vicente liegen noch ein paar Sachen von mir“, murmelte sie und wich seinem Blick aus, als sie ihm diese Lüge auftischte. „In einem Safe eines der Hotels, das ein Freund von mir leitet. Die muss ich noch besorgen, bevor wir die Stadt verlassen.“
Quinn drehte sich zu ihr um, sein Blick durchbohrte sie fast. „Wenn es etwas ist, das man ersetzen kann, lass es da liegen.“
„Das kann ich nicht.“
Er hatte sich soeben ein schwarzes T-Shirt angezogen und verschränkte nun die Arme vor seiner Brust. Sichtlich genervt lehnte er sich an den Schrank. „Da wirst du mir schon mehr erzählen müssen, Saige. Wir müssen in Bewegung bleiben.
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