Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
dem Boden lag. In der Nähe hörte sie das Plätschern eines Bachs oder eines Flusses, der Himmel über ihr war wolkenlos, die Sonne brannte in ihren Augen. Die Lichtung war von drei Seiten von dichtem Dschungel umgeben, nur am Flussufer stand eine kleine traurig wirkende Holzhütte.
Einen atemlosen Moment glaubte Saige, sie wäre allein. Vor Erleichterung und Freude bekam sie kaum noch Luft.
Aber dann sah sie die Casus.
Sie standen nur etwa drei Meter entfernt, beugten sich über einen alten Tisch unter einem Schatten spendenden Baum und studierten mit großer Anspannung die Karten, die auf der Tischplatte ausgebreitet waren. Neben ihnen lag ihr Rucksack auf dem Boden, wie achtlos beiseitegestoßen. Royce sagte gerade etwas, offenbar zutiefst frustriert. „Ich kann nicht fassen, dass dieser ganze Scheiß in einem Code abgefasst ist.“
„Was hast du denn erwartet? Dass es ganz leicht sein würde?“, höhnte Gregory. Dann hob er den Kopf, als könnte er ihren Blick spüren, und lächelte. „Die kleine Schlampe ist wieder zu sich gekommen. Vielleicht kann sie was Erhellendes dazu sagen.“
Royce richtete sich zu voller Größe auf und deutete mit dem Kinn auf die Karten. „Du wirst uns zeigen, wie das zu lesen ist.“
„Was lesen?“, murmelte sie, ignorierte ihren schmerzenden Kiefer, so gut es ging, und versuchte auf die Knie zu kommen. Doch in ihrem Kopf drehte sich alles, und sie beschloss, sitzen zu bleiben, um nicht gleich wieder mit ausgebreiteten Armen und dem Gesicht nach unten in dem dichten Moos zu landen, das den Boden bedeckte.
Royce schnappte sich eine der Karten und kam auf sie zu, gefolgt von Gregory.
„Das war die falsche Antwort“, brummte er, und sie bemerkte in der Sonne blitzende Spitzen unter seiner Oberlippe, offenbar tödliche Reißzähne.
„Du willst mich doch sowieso töten, dann bring es verdammt noch mal hinter dich.“
„Ich werde dich töten, wenn es mir passt“, stieß er wütend hervor. „Aber zuerst wirst du uns verraten, wie wir hiermit die Dark Marker finden können.“
„Weshalb interessieren die euch überhaupt?“, schrie sie und fegte die Karte weg. „Was wollt ihr damit anfangen? Was für einen Nutzen sollten diese Kreuze für die Casus haben?“
Er starrte sie wortlos an, aber irgendetwas in seinen Augen verriet ihn. Plötzlich brach sie in Lachen aus und musste sich die Hände gegen den Magen drücken. „Lieber Himmel. Ihr wisst es selber nicht, was?“
„Wozu wir sie brauchen, geht dich überhaupt nichts an. Und wenn du nicht jetzt auf der Stelle sterben willst, dann solltest du uns besser erklären, wie wir sie finden können.“
Vielleicht könnte sie ihn so wütend machen, dass er sie schnell töten würde, anstatt es in die Länge zu ziehen und sie endlos zu quälen. „Dann kannst du mich genauso gut gleich umbringen. Ich werde euch den Code niemals verraten.“
Er ging vor ihr in die Hocke, packte blitzartig ihr Haar und riss daran, dass sie aufschrie vor Schmerz. „Du wirst es mir sagen, Saige.“
„Das kann ich gar nicht, selbst wenn ich wollte. Der Code ist sehr kompliziert, und für jede Karte gilt ein anderer. Eigentlich ist alles nur eine endlose Aneinanderreihung von Richtungsangaben, die ineinander übergehen. Ich weiß nicht einmal, wie viele Kreuze dort aufgeführt sind, und wahrscheinlich würde es Jahre dauern, das herauszufinden. Jedenfalls habe ich viele Monate gebraucht, die Angaben zu entschlüsseln, die mich hierhergeführt haben.“
Royce schnaubte voller Abscheu, stieß sie zurück und erhob sich wieder. Saige krabbelte auf Händen und Knien ein Stück zurück und blickte hinauf in seine mörderische Fratze.
„Was jetzt?“, fragte Gregory.
„Wir lassen sie erst mal am Leben“, brummte Royce und legte die Karte wieder auf den Tisch, zu den übrigen. Als Saige die Pistole erblickte, die hinten im Bund seiner Jeans steckte, stockte ihr kurz der Atem. Für einen Casus schien ihr das eine einigermaßen überflüssige Waffe zu sein, und sie fragte sich mit merkwürdiger Distanziertheit, ob er überhaupt damit umgehen konnte.
„Sie am Leben lassen?“, wiederholte Gregory und starrte Royce ungläubig an. „Das ist nicht dein Ernst.“
„Zumindest so lange, bis wir wissen, ob es noch jemanden gibt, der die Karten lesen kann“, erklärte Royce und strich sich das lange Haar aus dem Gesicht, „haben wir gar keine andere Wahl. Außerdem macht es sowieso keinen Sinn, sie zu töten, solange sie noch nicht gänzlich
Weitere Kostenlose Bücher