Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
Schließlich wusste sie genau, was die beiden wollten.
Ihr Blut. Ihr Fleisch. Ihr Leben.
Das Lächeln des Mannes erinnerte Saige an die Katze aus dem Albtraum in Alice im Wunderland , und für einen Moment wünschte sie, auch das hier wäre ein Albtraum, aus dem sie gleich erwachen würde.
Der mit dem kürzeren Haar, links von ihr, warf Inez und Rubens einen wissenden Blick zu, die jetzt in einer Ecke standen und miteinander flüsterten. „Sollen wir irgendwohin gehen, wo wir mehr für uns sind?“
Sie nickte ruckartig. Schließlich hatte sie keine andere Wahl. Ihr Herzschlag hämmerte in ihrer Brust und in ihrem Kopf wie eine Dschungeltrommel. Über dieser ganzen Szene lag ein surrealer Schleier, als wäre sie gar nicht wirklich. Als bräuchte sie nur mit den Fingern zu schnippen und puff! – die beiden wären verschwunden.
Aber die würden nicht verschwinden. Nicht ohne sie.
Alle drei traten hinaus in die grelle südamerikanische Sonne, die beiden Männer nahmen sie in die Mitte. Die Hitze war erdrückend, und obwohl Saige nur Shorts und T-Shirt trug, begann sie sofort zu schwitzen. Oder war es die Angst? Saige streckte die Daumen unter die Riemen des Rucksacks und blickte auf die spinnenartigen Risse im Asphalt. In ihrem Kopf herrschte Chaos, ihre Gedanken rasten von einer Stratosphäre in die nächste, wie betäubt schritt sie zwischen den beiden Männern einher, Richtung Stadtrand. Aus weiter Ferne drangen ein paar vorbeituckernde Laster in ihr Bewusstsein, eine Mutter, die mit ihren vier Kindern zum Markt ging, ein kleiner Junge auf einem Fahrrad. Sie holte tief Luft, ihr Puls raste, ihr Atem ging schneller … und schneller. Gerade als die Panik sie überkam und sie losrennen wollte, umklammerte der Mann rechts von ihr ihren Oberarm und hielt sie mit einer Kraft fest, dass sie glaubte, er wolle ihr den Arm brechen.
„Du gehst nirgendwohin, Süße.“
„Ganz ruhig, Gregory“, warnte der mit dem kürzeren Haar.
„Wir sind immer noch in der Stadt, wo uns zu viele Leute sehen könnten.“
„Keine Sorge, Royce. Ich tu ihr ja nichts.“ Er beugte sich runter und flüsterte ihr heiser ins Ohr: „Noch nicht.“
Der Mann namens Royce ergriff ihren linken Arm, sodass sie zwischen beiden gefangen war. Sie näherten sich dem Ende der Straße, der dichte, leuchtend grüne Dschungel zeichnete sich bedrohlich vor ihnen ab. „Du hast mir ja ganz schön Ärger gemacht, Saige“, äußerte er in beiläufigem Konversationston, als hätten sie nichts weiter vor, als einen gemütlichen Morgenspaziergang zu genießen. „Auf der anderen Seite kann ich dir gar nicht sagen, wie freundlich es von dir war, noch mal zu der Bar zurückzukommen.“
Das Sonnenlicht brannte ihr in den Augen, sie spürte den Schweiß dort, wo die beiden sie festhielten. Mit jedem Schritt schwanden ihre Chancen, und mit aufsteigender Panik wurde ihr klar, dass sie geradewegs in ihren Tod spazierte und nicht das Geringste dagegen unternahm.
Und es würde nicht einmal schnell gehen, das wusste sie von Quinn.
„Ich wusste gar nicht, dass ihr zu zweit unterwegs seid“, brachte sie mühsam hervor. „Seid ihr Brüder?“ Sie flehte stumm um ein Wunder. Um Quinn.
Gregory gab ein hässliches Lachen von sich. „Das Schwein von deinem Bruder hat meinen umgebracht. Jetzt habe ich keinen mehr.“
Saige blinzelte, um diese erstaunliche Nachricht zu verdauen. Sein Hass, wurde ihr plötzlich klar, war auch noch persönlich. Ging sogar noch über eine uralte Fehde zwischen ihren Gattungen hinaus. Ihr möglichst qualvoller Tod war für ihn noch wichtiger.
„Diese menschlichen Körper, die wir uns angeeignet haben, das waren Brüder“, erklärte Royce.
„Wie … wie macht ihr das? Euch Körper aneignen?“
Wie bei Quinn waren seine Augen ständig in Bewegung.
„Sobald wir freikommen, suchen wir uns sofort einen menschlichen Wirt, der ein bisschen Casus-Blut in den Adern hat, genau wie es in der Legende heißt. Und jetzt werden wir mit jedem Tag immer mehr, überall auf der Welt.“
„Aber wie?“, flüsterte sie und zählte stumm die Schritte, die sie noch bis zum Beginn des Dschungels brauchten. „Wie schafft ihr es, aus eurem Gefängnis zu entfliehen?“
„Wir haben einen großen Führer“, erklärte Royce, „der einen Weg gefunden hat, unsere Schatten durch das Tor zu leiten.“
„Aber es gibt auch noch einen anderen Weg“, wisperte Gregory ihr ins Ohr. „Der macht viel mehr Spaß. Ist auch viel befriedigender. Willst du
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