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Wenn das Glück dich erwählt

Wenn das Glück dich erwählt

Titel: Wenn das Glück dich erwählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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stürzen und sich an seiner gesunden Schulter auszuweinen. »Ich werde dafür sorgen, dass die McCaffreys immer wissen, wo ich bin, und falls Sie oder Abigail mich brauchen sollten, werde ich, so schnell ich kann, zurückkehren.«
    Evangeline ertrug den Gedanken nicht, dass, zusätzlich zu allem anderen, nun auch noch Scully fortgehen könnte. Langsam drehte sie sich zu ihm um. »Das würden Sie ganz sicher nicht«, widersprach sie bitter. »Männer und ihre Versprechungen! Sie werden heiraten und irgendwo eine Familie gründen, und wir werden nie wieder etwas von Ihnen hören!«
    »Wäre das denn so schlimm?«
    »Ja«, antwortete Evangeline, ohne nachzudenken. »Nein. Ich meine - nein. Es wäre nicht schlimm. Überhaupt nicht.«
    »Ich kann verstehen, warum Sie nicht mehr an die Erfüllung Ihrer Wünsche glauben«, sagte Scully sanft. Er lag jetzt auf der Seite und stützte sich auf einen Ellbogen. »Aber warum haben Sie aufgehört, an Versprechungen zu glauben?«
    Sie wandte sich zum Herd und nahm sich laut klappernd verschiedene Töpfe. Scully hatte den Truthahn ausgenommen, nachdem er ihn geschossen hatte - und kurz bevor auf ihn geschossen wurde -, und Evangeline hatte ihn morgens schon gerupft, zwischen einem ihrer vielen Gänge zu der Quelle. Jetzt wollte sie ihn mit Salz und Butter einreiben und zum Braten in den Ofen schieben. Bis zum Abend würde der Truthahn gar sein.
    »Evangeline?«
    Sie ging in die Speisekammer und kam dann wieder mit den Sachen, die sie brauchte. »Sollten Sie jetzt nicht li eber ein bisschen ruhen, Mr. Wainwright?«, entgegnete sie spitz.
    Er lachte. »Tatsache ist, dass ich nicht mehr so viel >geruht< habe, seit ich im Alter von zehn Jahren Scharlach hatte. Ich würde viel lieber etwas tun stattdessen. War es Mott, der sein Versprechen Ihnen gegenüber brach?«
    Er würde darauf beharren, bis sie wütend wurde, und diese Beharrlichkeit war eine Eigenschaft, die sie sehr stark an Abigail erinnerte.
    »Nein«, sagte sie, während sie den Kopf des Vogels und die Innereien in eine Pfanne gab. »Es war mein Mann. Er hatte geschworen, Abigail und mich nie mittellos zurückzulassen, aber genau das tat er schließlich. Er hat alles - alles - seinem Sohn vererbt.«
    »Vielleicht hatte er nicht damit gerechnet, dass er so schnell sterben würde«, wandte Scully ein. »Das kann doch keiner von uns wissen.«
    Evangeline wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. »Es ist schon möglich, dass er nicht damit gerechnet hat«, gab sie zu. »Aber könnten wir nicht über etwas anderes reden? Oder - und das wäre mir noch lieber - überhaupt nicht reden?«
    »Wie Sie wollen«, erwiderte Scully ohne Groll. Dann ließ er sich wieder auf den Kissen nieder, stützte das Buch über griechische Mythologie auf seine Brust und begann zu lesen.
    Nach einem leichten Mittagessen aus Maisbrot und den letzten Bohnen begann sich eine Art wohliger Trägheit in der Hütte auszubreiten. Abigail gähnte und ließ sich widerspruchslos zu einem Mittagsschlaf ins Bett legen - was nur noch äußerst selten vorkam, jetzt, wo sie »ein großes Mädchen« war und auch Scully nickte ein. Sein Buch lag offen auf seiner Brust, wie ein Vogel mit weit gespreizten Schwingen.
    Evangeline schlüpfte leise auf die Veranda, um einen Blick zum Himmel hinaufzuwerfen. Er war noch immer blau, aber die klare, kalte Luft roch eindeutig nach Schnee. Sie blieb einen Moment dort stehen, atmete tief ein und lauschte den Geräuschen der umliegenden Wildnis, während der kalte Wind an ihren Haaren zerrte. Ihre Hände waren wund vom Schleppen der Wassereimer und vom Brennholzhacken, sie war müder als in ihrem ganzen Leben, und der Frühling erschien ihr wie ein zweischneidiges Schwert. Trotz allem verspürte sie ein seltsames Gefühl des Wohlbehagens, als habe sie eine schwere Bürde abgelegt und könne sich jetzt sehr viel leichter voranbewegen, mit einer Last, die nicht mehr ganz so drückend war.
    Vielleicht kam das durch das Gespräch mit Scully. Sie hatte sich anfangs dagegen gesträubt, mit ihm zu reden, hatte sich in die Ecke gedrängt und belästigt gefühlt durch seine Fragen, und ihm alles zu erzählen hatte genauso sehr geschmerzt, wie eine infizierte Wunde zu durchbohren. Aber jetzt erkannte sie, dass die ganze Übung, so schmerzlich sie vielleicht auch war, in Wirklichkeit ein Heilmittel gewesen war. Sie war Tausende von Meilen entfernt von Mott und allem, was ihre Vergangenheit ausmachte, mit Ausnahme von Abigail natürlich.

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