Wenn Das Leben Dir Eine Zitrone Gibt, Frag Nach Salz Und Tequila
spannend. Die nachfolgenden Monate? Sagen wir es mal diplomatisch: interessant. Die Zeit danach? Nur mit Schmerzensgeld erträglich.
Ich wurde zunehmend unerträglicher, vor allem für meinen armen Freddy.
Das Problem: Wohin nur mit meiner aufgestauten Energie? Ich versuchte alles, um mich im Studio irgendwie auszutoben: Ich pinnte Briefe an der Rückseite der Kulisse fest, flirtete mit dem Aufnahmeleiter und bestickte während der Sendung sogar Jeans mit Glitzersteinen. War ich gerade im Bild, ließ ich richtig Dampf ab und beklatschte jeden Buchstaben hysterisch. Acht mal ein »E wie Emil«? Applaus, Applaus, Applaus – wie im Irrenhaus! Aber ich konnte mir zumindest mal die Beine vertreten.
Es half nur alles gar nichts, ich stand weiter unter Strom. Genauer gesagt: unter Sprachstrom. Eines Tages hielt ich es einfach nicht mehr aus. Kaum hatte Freddy sein freundliches »Einen wunderschönen guten Abend, sehr verehrte Zuschauer …« aufgesagt und wagte es, Luft zu holen, grätschte ich in seine Atempause rein: »Ja, wie schön, dass Sie wieder bei uns sind! Denn hier beim Glücksrad warten wieder unglaubliche Preise und ausgefuchste Kandidaten auf Sie. Heute können Sie zum Beispiel diesen wunderbaren Toaster mit raffinierter Hightech-Aufbackautomatik gewinnen und dazu noch …« Und so weiter. Und so weiter.
Die bislang unausgesprochenen Worte waren wie Hülsenfrüchte. Sie hatten lange in mir gegärt, und nun gab jedes Böhnchen ein Tönchen. Freiwillig hörte ich jedenfalls nicht auf zu reden, sondern nutzte die Zeit, bevor ich wieder ins stumme Exil an die Wand geschickt wurde. Ich sah, wie Frederik, der charmante Meisner, aufgeregt in Gina-Wild-Schnappatmung verfiel. Er wollte mir so gern seinerseits in meinen Redeschwall reinquatschen. Sein Problem war: Ich verkniff mir tunlichst zu atmen und machte einfach keine Pause.
Mehrmals wurde ich daraufhin von ihm, unterstützt von Regisseur und Aufnahmeleitung, galant darauf aufmerksam gemacht, mich doch bitte kurzzufassen. Doch er hatte die Rechnung ohne das Gameshowpublikum gemacht. Die grauhaarige Zuschauer-Gemeinde hatte Gefallen an dem feschen frechen Früchtchen gefunden, klatschte bei jedem meiner Auftritte frenetisch wie sonst wahrscheinlich nur bei der Landung in Palma – und stellte mir damit die Lizenz zum Labern aus.
So musste der arme Freddy in seiner Garderobe weiterhin eine Sonya-Voodoo-Puppe knebeln, was ihm leider nichts nutzte, denn ich wurde verpflichtet, im Kalaschnikow-Verfahren Satzsalven aus gequirlter Kacke abzufeuern. Gemeinsam harrten wir aus, bis, ja bis die Erlösung für uns beide kam … Eine Sendung namens »talk talk talk« für mich – und da war der Name Programm!
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: All das machte mir Spaß, keine Frage. Der Job beim »Glücksrad« war gut bezahlt, dafür war ich auch irre dankbar, aber schon nach Sendung 250 war der Ablauf eben doch Routine. Und wenn ich nicht bald meinen Extrajob bei »talk talk talk« dazubekommen hätte, wäre ich Gefahr gelaufen, eines Tages vor akuter Unterforderung und lebensbedrohlicher Langeweile vor laufender Kamera schnarchend umzukippen.
Das ist Jammern auf hohem Niveau? Stimmt! Aber dies hier ist ein Appell, auch kleine »Auas« nicht aus Angst oder Bequemlichkeit zu ignorieren. Das ist wie mit dem kleinen Splitter, der im Fingerchen steckt, und man ist zu faul, nach der Pinzette zu suchen, weil es ja doch nicht so schlimm weh tut. Irgendwann fängt der Mist aber an zu eitern, und ehe man sichs versieht, hat man eine Blutvergiftung. Sich auf Dauer in einer Situation einzurichten, die einem irgendwie nicht behagt, ist wie ein Sour auf nüchternen Magen. Es bekommt einem einfach nicht! Im Glücksfall muss man nur kotzen, im Ernstfall gibt’s ’ne Magenschleimhautentzündung. Oder Schlimmeres. Doch manchmal ist der Splitter gar nicht so leicht auszumachen …
Viele von uns sitzen nämlich in der perfiden Falle, dass von außen betrachtet alles wunderbar aussieht.
Vielleicht haben wir einen topbezahlten Job, einen Freund, der aussieht wie aus der Sexiest-man-alive-Liste gesprungen, einen Satz entzückender Kinder und on top noch einen Hund, der so schlau und knuffig ist, dass er problemlos für ein Remake von Lassie gecastet werden könnte. Ein Leben wie aus der Rama-Reklame.
Oder wir studieren irgendwas Prestigeträchtiges wie Zahnmedizin oder Jura. Eigentlich müssten wir mehr als zufrieden sein. Finden zumindest Oma, die Nachbarn und
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