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Wenn Das Leben Dir Eine Zitrone Gibt, Frag Nach Salz Und Tequila

Titel: Wenn Das Leben Dir Eine Zitrone Gibt, Frag Nach Salz Und Tequila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonya Kraus
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Während meine Klassenkameradinnen die Nachmittage wahlweise im Café »Pinte« um die Ecke unseres Gymnasiums oder im Freibad verbrachten und dabei erste Erfahrungen mit dem pickeligen, stimmbrüchigen »starken« Geschlecht sammelten, blieb ich keusch. Ich lebte in einer rosaroten Wolke, die mit glänzendem Parkett, den Klängen von Tschaikowsky, mit Spitzenschuhen, strengem Dutt und Tüll gefüllt war. Was sollte ich mit so was Profanem und Unästhetischem wie Jungs? Pah!
     

     
    Das Hormon-Attentat
     
    Doch dann geschah es. Die Pubertät zeigte ihre hässliche Fratze. Die Hormone verübten hinterhältig ein Attentat auf mich. Zwischen dreizehn und vierzehn wuchs ich 20 Zentimeter! In Worten: zwanzig! Ich hätte lieber eine ausgewachsene Akne gegen dieses hundsgemeine Schicksal eingetauscht. Dagegen konnte man sich schließlich behandeln lassen, aber von einer wirksamen Schrumpfkur hatte ich noch nie etwas gehört. Plötzlich war ich 1,75 Meter groß – eine Katastrophe. Die Idealgröße einer klassischen russischen Ballerina liegt bei 1,62 Meter. Ist ja auch logisch: Zur Körperlänge kommt beim Spitzentanz ja noch die Fußlänge hinzu, und die zierlichen Tänzerlein müssen ihre Partnerinnen ja auch noch irgendwie gestemmt bekommen, ohne auf der Bühne sofort mit Hexenschuss zusammenzubrechen.
    Innerhalb kürzester Zeit überragte ich meine zarten Mittänzerinnen und meine Lehrerin um mehr als einen Kopf. Und ich wuchs weiter. 1,76 Meter. 1,77. Die 1,80-Marke dräute dunkel am Horizont. Ich versuchte, mit eingezogenen Schultern gegenzusteuern – lieber die Glöcknerin von Notre-Dame als Giganto-Girl.
    Als wäre all das nicht schon schlimm genug, explodierten nach Östrogen-Attacken auch noch mein Hintern und mein Balkon und verzerrten grotesk meine Körperproportionen. Das fiel vor allem auf, wenn ich mit meinen unerwünschten Gebirgen zwischen den anderen Mädchen in meiner Gruppe stand, alle vorn und hinten so wunderschön flach wie die Prärie.
    Täglich quetschte ich mich in ein viel zu enges Balletttrikot; Tanzklamotten für Mädchen wurden damals konsequent nur bis Kindergröße 164 gefertigt. Darüber sollte man lieber boxen oder kicken, dieser Ansicht war offenbar auch die Bekleidungsindustrie. Allein, in dem in allen Nähten ächzenden Fummel in den Saal zu kommen, war eine Demütigung für sich.
    Bis jetzt war ich eine der Besten in meiner Gruppe gewesen und dadurch vor den Zickereien der hochnäsigen Mit-Elevinnen weitgehend gefeit. Die waren bisher zwar manchmal vor Neid grün angelaufen, hätten sich aber lieber die spitze Zunge abgebissen, als dass sie sich eine Blöße gegeben hätten. Jetzt aber sahen die kleinen Miststücke mit Dutt Land. Vorzeige-Sonya war zu Godzilla mutiert und damit zur Zielscheibe von zielsicher und mit boshaftem Lächeln abgefeuerten Giftpfeilen. Luzie, ein engelgleiches Wesen von 1,58 Metern legte zum Beispiel eines Tages nach dem Training den Kopf in den Nacken, fixierte mich mit süffisantem Blick aus dem Tal der Glückseligen und sagte: »Mensch, Sonya, mach dir nichts draus. Du kannst ja immer noch zum Lido nach Paris gehen.«
    Die kleine Schlange hätte sich auch gleich mit ihrem stahlharten Spitzenschuh in meine Magengrube bohren können. Das Revue-Theater Lido verhielt sich zum Bolschoi Theater wie »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« zu »Faust« am Wiener Burgtheater. Zu allem Überfluss zeigte damals die ARD auch noch die Serie »Anna«, in der eine Ballett-Elevin ungefähr in meinem Alter herbe Schicksalsschläge durchlebte – im Fernsehen ging aber natürlich alles gut aus. Bei mir zeichnete sich das Happy End noch nicht ab.
    Die Situation eskalierte an einem Samstag. Das weiß ich deshalb noch so genau, weil es an meinem Gymnasium vier Stunden Samstagsunterricht gab – das führte in Kombination mit meiner langen Anfahrt zum Training dazu, dass ich immer einen Tick zu spät kam. Sogar dann, wenn ich – wie üblich am Samstag – das Mittagessen ausfallen ließ. Meine Unpünktlichkeit war Madame Constantiné ein Dorn im Auge, und sie bedachte mich jedes Mal mit einer kleinen Spitze im Stil von: »Aha, so so, bequemt sich Fräulein Sonya auch schon zu uns? Sieh an, sieh an.« An diesem einen Samstag blieb es nicht dabei. Diesmal wollte sie ein Exempel statuieren. Mir hing der Magen in den Kniekehlen, und mir wurde wegen akuter Unterzuckerung einen Moment lang schwarz vor Augen – und, zack, war mir ein Fehler unterlaufen.
    Es handelte sich um einen

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