Wenn das Schlachten vorbei ist
mit ihrer Mutter vorfahren und der Tag beginnen kann.
Auf dem Wasser ist es kaum wärmer als zehn Grad, und die gefühlte Temperatur ist noch viel niedriger, aber Anises Mutter besteht darauf, während der ganzen Überfahrt auf dem Deck zu sitzen. Noch bevor die beiden überhaupt ausgestiegen waren, hat er versucht, ihr zu sagen, dass es recht kühl werden würde, aber sie hat das beiseite gewischt. »Glaubst du, ich kenne diese Inseln nicht?« hat sie gesagt und die Augenbrauen hochgezogen, bis sie in den Furchen schwebten, die in ihrem Haaransatz verschwanden. Ihr Gesicht war wie die Vorlage für das von Anise, es war geradezu unheimlich, exakt bis ins Detail, als wäre ihre Tochter nicht auf die übliche Weise entstanden, sondern geklont: dieselbe breite Stirn, das runde Gesicht, das starke Kinn, die Augen, die einen aus drei Metern Entfernung ansprangen, die vollkommen geformten Ohrmuscheln und die enorm attraktive leichte Wölbung der Oberlippe, das Ganze eingerahmt von einem Wirbelsturm aus schmutzigblondem, in langen Strähnen ergrauendem Haar. Sie war groß, mit straffen Schultern, und schlanker als Anise, aber kräftig, noch immer kräftig, obwohl sie Mitte Fünfzig sein musste. Mindestens. Sie hatte Jeans und Cowboystiefel an, eine kurzärmlige Bluse und ein Halstuch. Die abgewetzte Lederjacke mit dem Vliesfutter, ihr einziges Zugeständnis an das Wetter, hatte sie um die Taille gebunden. Sie trug weder Schmuck noch Make-up.
Nach dieser rhetorischen Frage legte sie einen Arm um Anise und sagte: »Jetzt, wo Bax tot ist und Francisco vermutlich ebenfalls, gibt’s wohl keinen, der die Inseln – oder jedenfalls die, zu der wir heute fahren – besser kennt als ich.« Sie lächelte und wandte sich zu Anise, als wollte sie ihr einen Kuss geben – und das tat sie auch wirklich, auf die Nasenspitze, ein kurzes Picken, das ihm auf eine Art, die er nicht benennen konnte, unbehaglich war. »Stimmt’s, Schatz?«
Aber das ist in Ordnung. Alles ist in Ordnung. Das Meer ist wie eine Wolke, auf der er jetzt dahintreibt, er lebt im Augenblick, kommt mal raus aus allem und spürt, wie sich seine Stimmung mit jeder Minute bessert. Es gibt eine leichte Dünung. Die Sonne scheint, keine Spur von einer Wolke oder einem Nebelschwaden. Delphine begleiten sie. Der Motor läuft rund. Und wenn er Vollgas gibt, dann nur, weil er so begierig ist, zur Insel zu gelangen, und sei es bloß, um zu kundschaften, doch er hofft – sie alle hoffen –, in Scorpion Bay an Land gehen zu können, und wenn nicht dort, dann in Smugglers’ Cove, damit Rita zum erstenmal nach all den Jahren sehen kann, was davon noch übrig ist. Damit sie sich erinnern kann, damit sie Geschichten erzählen kann, von Schafen und Raben und wie es damals war, wenn sie an Sommerabenden am Feuer saß und Gitarre spielte und ihre Stimme mit der ihrer hochaufgeschossenen pubertierenden Tochter verschmolz, während über dem Kanal der fette Mond aufging und alle Zwergfüchse und Skunks die Ohren anlegten und heulten. Oder bellten. Oder die Geräusche machten, die sie eben machten. Die meiste Zeit ist Anise auf Deck bei ihrer Mutter, die beiden plaudern, und Rita ist so entspannt, als hätte sie seine ganze Packung Xanax intus, und auch das ist in Ordnung. Es ist ihm ein Vergnügen – eine Ehre –, sie zu begleiten, und wenn dazugehört, die alten Geschichten noch einmal zu hören, dann hat er nichts dagegen. Wenn es Rita glücklich macht – er wirft einen verstohlenen Blick über die Schulter und sieht die beiden in den Liegestühlen sitzen, wo sie die Köpfe zusammenstecken und der Wind mit ihrem Haar spielt –, macht es Anise ebenfalls glücklich. Und Anises Glück ist sein ganzes Streben. Das sagt er sich jedenfalls, während er den Gashebel bis zum Anschlag nach vorn schiebt und Scorpion Bay in Sicht kommt.
Er weiß, dass er nicht vor Anker gehen sollte, ohne zuvor mit dem Fernglas die Pier, den Strand und den ausgetretenen Pfad abgesucht zu haben, der sich um die Felswand rechts der Bucht herumwindet, denn dort ist das Haus, wo die Ranger sind, wenn überhaupt welche da sind. Rita beugt sich zerzaust und mit gerötetem Gesicht über die Reling, als er beidreht. Sie hat ihr eigenes Fernglas, ein kleines Ding zur Vogelbeobachtung, das sie aus der Tasche gezogen hat. »Da«, ruft sie, und ihre Stimme ist hell vor Aufregung, »ist das nicht der Jeep? Bax’ Jeep?«
Und jetzt ist Anise neben ihr und schirmt mit der Hand die Augen ab, bis Rita ihr das Fernglas
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