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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Einbruch und Diebstahl –, lagen zu ihren Füßen. Sie ließ sich auf das Bett sinken, zog die rauhe Decke eng um den Hals und stellte mit nüchternem Interesse fest, dass die Wände mit ganzen Seiten aus Zeitschriften tapeziert waren, aus Life und Look und der Sonntagsbeilage der Tageszeitungen. Pin-ups sahen sie an, Männer, die auf Panzern saßen, Barbara Stanwyck auf einem Pferd. Hier wohnte ein Mann, schloss sie daraus, und zwar allein. Ein Einsiedler. Ein Fischer. Einer, der Frauen gegenüber schüchtern war und einen Schnauzbart hatte wie die Männer auf den Fotos aus der Zeit ihres Großvaters.
    Sie fand seine Kleider in einer Truhe, die in der Ecke stand. Zwei weiße Hemden in einer kleinen Größe, einen blauen Wollpullover mit roten Streifen und eine fleckige, geflickte Gabardinehose. Ohne nachzudenken – später, wenn sie gerettet war, würde sie es ihm zehnfach vergelten – schlüpfte sie in die Hose und das weniger hässliche Hemd und ging dann hinaus, um zu sehen, ob sie ihn finden konnte. Ihn oder einen der Männer, die in den anderen Hütten leben mussten, denn wenn es vier Hütten gab, musste es auch vier Männer geben. Mindestens. Und jetzt, als sie vor der Tür stand, das Gesicht der nächsten, etwa zehn Meter entfernten Hütte zugewandt, rief sie tatsächlich: »Juu-huu!«
    Niemand antwortete. Die einzigen Geräusche waren jene, an die sie sich bereits gewöhnt hatte: das Rauschen des Windes, das Klatschen und Donnern der Brandung, die schrillen, gepressten Schreie der Vögel. Sie ging von einer Hütte zur anderen, und obgleich sie Anzeichen dafür fand, dass sie bis vor kurzem bewohnt gewesen waren – eine Schüssel mit von Ratten angeknabberten Kartoffeln, eine auf einer Untertasse zusammengeschmolzene Kerze, weitere Konserven, eine Dose mit alten Keksen, diverse Angelruten, Hummerfallen, zwei Steinkrüge voll Rotwein und eine Flasche ohne Etikett, in der etwas war, das einst Sherry gewesen sein mochte, sich inzwischen aber unter einer schwimmenden Schimmelschicht schwarz verfärbt hatte –, traf sie keine Menschenseele an. Es war, als wäre sie ein heimatloses Waisenkind in einem Märchen, das ein Zauberreich betrat, dessen Bewohner allesamt in Bäume oder Tiere verwandelt worden waren – in Ratten, schwarze Ratten, die keine Angst vor Menschen hatten. Als sie schließlich alle vier Behausungen durchsucht und immer wieder vergeblich gerufen hatte, ging sie zur ersten zurück, öffnete eine weitere Dose mit Pfirsichen, die sie langsam aß, einen nach dem anderen, wobei ihr der Saft über das Kinn lief. Anschließend streckte sie sich auf dem Bett aus, deckte sich zu und schlief ein.
    Es gab so vieles, was sie nicht wusste. Wie hätte sie es auch wissen können? Sie war gestrandet, sie hatte ihren Mann in schwerer See untergehen sehen (auch wenn sie es sich nicht eingestehen und jenen langsam zerfasernden Strang aus Hoffnung nicht loslassen konnte, noch nicht), sie war nie in ihrem Leben auf diesen Inseln gewesen und hatte keine Ahnung, wo sie war und was sie erwarten sollte, und die Hütte, in der sie sich befand, hätte ebensogut so, wie sie war, vom Himmel gefallen sein können. Es war eine Hütte, und sie war darin, und das Ding würde ihre Zuflucht sein, bis sie gerettet wurde – das war alles, was sie wissen musste.
    Natürlich war die Hütte, in der sie sich befand, nicht vom Himmel gefallen, obgleich die Tatsache, dass sie in der Stunde ihrer Not an diesem Hang auf diese Baracke gestoßen war, zweifellos etwas Übernatürliches hatte. Dennoch war es von Menschen erbaut worden, von Menschen, die ein Sinnen und Trachten und sehr konkrete finanzielle Ziele gehabt hatten, wie Alma nur zu gut wusste. Die Geschichte ihrer Großmutter war für sie von enormer Bedeutung, sie hatte sowohl auf der High School als auch auf dem College Zeitungsartikel darüber gelesen, in Archiven recherchiert und Arbeiten darüber geschrieben, und darum wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass Beverly in Frenchy’s Cove auf West-Anacapa gestrandet war, der größten und am weitesten westlich gelegenen der drei kleinen Inseln. Diese Hütten – eigentlich nicht mehr als Baracken – waren 1925 von Investoren aus Ventura gebaut worden, die eine Art Camp für Sportangler hatten errichten wollen. Sie bestanden aus Brettern und Bohlen und waren nur mit dem Nötigsten ausgestattet, zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Naturburschen, die bei den Inseln angeln, die Nächte aber nicht unbedingt in einer engen

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