Wenn das Verlangen uns beherrscht
Papierkorb. „Aus dem Geschäft wird nichts.“
RJ fluchte leise. „Hat er dir gesagt, warum nicht?“
„Ich habe die Sache abgeblasen.“
„Was? Warum zum Teufel hast du das getan?“
„Es stellte sich heraus, dass Larrimore Susannahs Großvater ist. Wegen irgendwelcher Familiengeschichten hat sie schon vor Jahren den Kontakt zu ihm abgebrochen.“
Und das war richtig so, der Mann war ein Tyrann. Und Matthew würde nie zulassen, dass irgendjemand Susannah etwas antat, egal ob Großvater oder möglicher Großkunde. „Als er uns gestern Abend zusammen sah, hat er mir einen unverschämten Vorschlag gemacht: Nur wenn ich Susannah überreden könne, mit den Großeltern wieder Kontakt aufzunehmen, könne aus unserem Geschäft etwas werden.“
„Und du hast abgelehnt“, vermutete RJ.
„Ja. Ich denke nicht daran, Menschen zu manipulieren, nur um einen Auftrag zu kriegen. Außerdem hat Susannah sehr gute Gründe, von den Alten nichts mehr wissen zu wollen.“
„Du hältst wohl ziemlich viel von dieser Susannah. Was hast du denn mit ihr vor?“
Obwohl ihm das Herz wie verrückt klopfte, setzte Matthew eine gleichgültige Miene auf. „Ich? Gar nichts. Sie ist heute Morgen abgereist.“
„Das überrascht mich aber.“ RJ lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Als ich euch da im Krankenhaus zusammen sah, hatte ich schon den Eindruck, dass da etwas zwischen euch läuft.“
Etwas? Was da zwischen ihm und Susannah abgelaufen war, war mehr als etwas gewesen, mehr als er sich jemals hätte träumen lassen. Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihn, und er hatte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. „Vielleicht, aber das ist vorbei.“
„Hat das mit Grace zu tun? Kannst du sie immer noch nicht vergessen?“
Mit zusammengezogenen Brauen starrte Matthew den Bruder an. Wie Susannah glaubte wohl auch er an das Märchen von der großen Liebe. Es wurde Zeit, dass RJ die Wahrheit erfuhr. „Grace und ich standen kurz vor der Scheidung, als sie starb.“
RJ ließ die Arme sinken und setzte sich kerzengerade hin. „Himmel! Ich hatte ja keine Ahnung.“
„Sie wollte übers Wochenende wegfahren, um sich endgültig darüber klar zu werden.“ Es war Susannah zu verdanken, dass er trotz seines schlechten Gewissens endlich darüber sprechen konnte.
RJ starrte ihn ungläubig an. „Und ich dachte immer, du ziehst dich von allem zurück, weil du sie immer noch liebst.“
„Was meinst du damit, ich ziehe mich von allem zurück?“
„Na, wie du so rumläufst und auf Menschen reagierst. Als ob dein Herz versteinert ist. Eigentlich wirkst du nur lebendig, wenn du mit Flynn zusammen bist. Kara hat mal gemeint, deinen Augen könne man ansehen, dass du an nichts mehr Interesse hast.“
Es ist, als hättet ihr, ich meine du und Flynn, geradezu auf jemanden wie mich gewartet, der Graces Part hier spielen kann.
Gewartet.
Matthew lockerte umständlich seine Krawatte. Hatte er wirklich an nichts mehr Interesse? Weil er wartete? Aber auf was? Schnell wandte er sich um und schenkte sich ein Glas Wasser ein, um nicht RJs scharfem Blick ausgesetzt zu sein. Susannah hatte ihm vorgeworfen, dass er glaube, Liebe nicht mehr zu verdienen. Im Grunde wusste er, dass sie irgendwie recht hatte. „Ja, vielleicht habt ihr recht, vielleicht habe ich wirklich wie in der Warteschleife gelebt.“
RJ nickte. „Bestimmt. Hast du eigentlich schon den Brief gelesen, den Dad dir hinterlassen hat?“
„Nein“, sagte er und nickte seinem Bruder kurz zu. „Aber das sollte ich vielleicht nachholen.“ Dann wandte er sich zum Gehen.
In der untersten Schreibtischschublade hatte er den Brief versteckt, daran erinnerte er sich merkwürdigerweise sofort. Er fand ihn auch gleich und zog ihn heraus. Immer noch war er wütend auf seinen Vater, aber es wurde Zeit, seine letzten Worte zu lesen.
Lieber Matthew,
nur zögernd schreibe ich diesen Brief, denn ich weiß, dass ich Dich von all meinen Kindern am stärksten enttäuscht habe. Und vielleicht hast Du auch recht, mich so hart zu beurteilen. Du weißt, wie schwer es ist, Vater zu sein, wie sehr wir wünschen, nur das Beste für unsere Kinder zu tun, wie gern wir ihnen die Welt schenken möchten.
Der Unterschied zwischen uns beiden besteht darin, dass Du ein sehr viel besserer Vater für Flynn bist, als ich jemals für meine Kinder war. Du hast dich vollkommen auf den Kleinen eingestellt, und seit Graces Tod bist Du alles, was er hat.
Ich bin stolz auf Dich, sehr stolz
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