Wenn das Verlangen uns beherrscht
Damit brichst du doch das Versprechen, das du Grace gegeben hast.“
„Ich habe Flynn gegenüber Verpflichtungen, die schwerer wiegen. Ich muss tun, was für ihn das Beste ist. Und das Beste für ihn ist, die Wahrheit zu erfahren, sobald er dazu bereit ist.“
Er hatte wirklich vor, der Familie alles zu sagen. Und Flynn. Das bedeutete, der Kleine würde bald erfahren, dass sie seine richtige Mutter war. Und sie durfte ihm ihre Liebe zeigen! Sie rieb sich die Stirn, als könne sie so ihre Gedanken ordnen. Was ging in Matthew vor? „Die Entscheidung ist dir sicher nicht leichtgefallen.“
„Eigentlich schon, nachdem man mich auf ein paar Dinge hingewiesen hat.“
Im Grunde ging es sie nichts an, aber sie musste es einfach wissen. „Wer hat dir denn die Augen geöffnet?“
„Du und RJ. Und mein Vater.“ Und bevor sie weitere Fragen stellen konnte, fügte er schnell hinzu: „Kommst du?“
Konnte sie es tun? Sollte sie es tun? In die Welt der Kincaids für einen Tag zurückkehren? Den Mann wiedersehen, den sie liebte und doch nicht haben konnte? Als Mutter des kleinen Jungen – hoffentlich – akzeptiert zu werden, des Jungen, den sie liebte und dem sie doch nie eine richtige Mutter sein konnte? Andererseits hatten Matthew und sie bestimmt einiges zu besprechen, wenn alle wussten, dass sie die Mutter war. Denn hier ging es um Flynns Zukunft. Also mussten sie sich sowieso irgendwann zusammensetzen. Tausend Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. „Wann willst du es ihnen denn sagen?“
„Nächsten Sonntag. Sonntags treffen wir uns immer alle zum Mittagessen bei meiner Mutter. Ich war allerdings jetzt lange nicht da wegen Flynns Krankheit.“
Die Vorstellung, den Kincaids gegenüberzustehen, wenn sie erfuhren, dass sie Flynns Mutter war, war einfach grauenhaft. Zu genau erinnerte sie sich noch an die Missbilligung der Großeltern, die alles ablehnten, was sie tun wollte. Auch die versteinerten Gesichter der Eltern des Jungen, von dem sie schwanger geworden war, würde sie nie vergessen. Wie hilflos sie sich gefühlt hatte.
Doch das war alles lange her. Sie war jetzt eine erwachsene Frau und wusste sich zu wehren.
„Ich komme“, sagte sie knapp und klappte das Telefon zu. Hoffentlich tat sie das Richtige. Für alle.
12. KAPITEL
Als Matthew zum zweiten Mal in diesem Monat im Flughafengebäude auf Susannah wartete, ertappte er sich dabei, wie er sich ungeduldig mit der Hand auf den Oberschenkel schlug. Er war wahnsinnig nervös. Erst vor wenigen Tagen hatte er sie im Taxi abfahren sehen, und dennoch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. So sehr sehnte er sich danach, sie endlich wieder in den Armen zu halten.
Als er um drei Uhr morgens aufgewacht war – natürlich hatte er wieder von ihr geträumt –, war er plötzlich ganz optimistisch gewesen. Wer weiß, vielleicht freute sie sich auch auf ihn. Wenn ihre Sehnsucht nur halb so groß war wie seine, dann überlegte sie es sich vielleicht noch einmal und blieb doch bei ihm und Flynn.
Endlich trat sie durch die Tür. Das blonde Haar lag glatt auf ihren Schultern. Sofort erinnerte er sich daran, wie es sie beide wie ein Vorhang umgab, wenn sie auf ihm lag und sich zu ihm herabbeugte. Die Lippen, mit denen sie so oft seinen Körper liebkost hatte, hatte sie fest zusammengepresst. Und die blauen Augen, die in leidenschaftlichen Momenten fast schwarz wirkten, blickten auf der Suche nach ihm sachlich und kühl.
Sie hatte nur eine große Handtasche bei sich, keine Reisetasche wie letztes Mal. Also hatte sie wirklich vor, noch heute wieder zurückzufliegen. Jeglicher Optimismus schwand.
Als ihr Blick auf ihn fiel, blieb Matthew regungslos stehen und versuchte ihre Gedanken zu ergründen. Doch umsonst, ihr Gesicht war eine freundliche Maske. Er ging auf sie zu und küsste sie auf die Wange. „Hattest du einen guten Flug?“, fragte er und ärgerte sich, dass er seine Stimme nicht ganz in der Gewalt hatte.
„Ja, danke.“
Wie konnte sie so cool sein, die Frau, die so leidenschaftlich im Bett war. Der Unterschied irritierte und verunsicherte ihn. Dennoch legte er ihr die Hand auf den Rücken und führte sie zum Ausgang.
Draußen auf dem Parkplatz blieb Susannah plötzlich stehen und sah Matthew zweifelnd an. „Ich bin nicht sicher, ob richtig ist, was du beschlossen hast. Ich muss immer an Graces Eltern denken. Wie werden sie reagieren, wenn sie die Wahrheit erfahren? Plötzlich sind sie nicht mehr Flynns Großeltern, zumindest nicht im genetischen
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