Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
auch nur einer Beilage) voreiligerweise ein zweitesmal zusprechen wollte, unterm Tisch einen Tritt ins Schienbein versetzte, um meine Gier zu bremsen und mich zu ermahnen, den kommenden Genüssen – über die er aus Erfahrung Bescheid wußte – die nötige Aufnahmsbereitschaft freizuhalten. Ich bin ihm bis heute dankbar.
Unter denen, die an jenem Abend von Anfang an dabei waren, befand sich auch Fritz Imhoff, der große Volksschauspieler, der das Pech gehabt hat, ein Zeitgenosse des noch größeren Hans Moser zu sein, sonst wäre er der größte gewesen. Als Fresser war er es. Jedenfalls übertraf er in dieser Eigenschaft alle damals Anwesenden einschließlich der später Eingetroffenen. Er widmete sich den Gerichten, die für einen jeweils neuen Schub von Gästen auffuhren, mit einer so rasanten Herzhaftigkeit, als wäre auch er eben erst angekommen, und zwar hungrig.
Um zwei Uhr früh war es soweit, daß niemand mehr weiter konnte, wirklich nicht. Die geräumige Wohnung war vom leisen Stöhnen der Angeschlagenen erfüllt, die sich glasigen Blicks ihrer Erschöpfung hingaben und als einzige Nahrungszufuhr nur noch Mokka, Magenbitter oder Speisesoda akzeptierten. Fritz Imhoff saß mit gelockertem Kragen und ebensolchem Hosenbund schweratmend in einer Ecke. Der Eindruck eines groggy gegangenen Boxers wurde noch dadurch verstärkt, daß seine neben ihm stehende Frau ihm mit einem großen, weißen Handtuch Kühlung zufächelte.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und aus der Küche erschienen die drei Schwestern, jede auf hocherhobenen Händen ein großes Tablett mit Gansleberbrötchen tragend. Sie glichen von ferne, sehr von ferne, weiblichen Epheben, wie sie vielleicht bei einem Gastmahl des Imperators Titus als jüdische Kriegsbeute Verwendung gefunden hatten, und sie schritten, die länglichen Tabletts mit der leckeren Last herausfordernd balancierend, unter kurzbeinigem Steißgewackel durch den Raum.
Imhoff hatte die müden Augenlider über seinen Schlitzaugen nicht ohne Mühe spaltbreit geöffnet und sah, was da auf den Tisch gestellt wurde. Ein verzweifeltes Ächzen entrang sich seinem überfüllten Innern:
»Tse«, machte er. »Das wird ja net zum Derscheißen sein, morgen …«
Keine derartigen Ängste bedrängten Herrn Penizek, als er sich einmal zu längerem Geschäftsbesuch in London aufhielt. Ob die englische Küche seither schmackhafter geworden ist, steht hier nicht zur Debatte – damals, um 1930 herum, war sie von allgemein anerkannter Ungenießbarkeit und folglich eine rechte Qual für Max Penizek, der die gewohnten Freuden der österreichisch-ungarisch-tschechisch-jüdischen Kost von Tag zu Tag schmerzlicher entbehrte.
Endlich bescherte ihm ein offenbar gottgewollter Zufall den Anblick eines koscheren Restaurants, das er denn auch sofort betrat, erlöst wie ein verirrter Hochtourist, dem sich unversehens eine Schutzhütte öffnete. Er speiste ganz vorzüglich und wollte – aus purem Nachholbedarf – die sättigende Mahlzeit mit einer Portion Käse krönen.
Zu seinem Erstaunen reagierte der Kellner auf die vermeintlich harmlose Bestellung mit gerunzelten Brauen: da müsse er erst den Chef fragen, murmelte er und entfernte sich in Richtung Kassa, wo ihn der Chef, das Käppchen der Frommen auf dem Haupt, mit leidender Miene erwartete. Penizek sah die beiden in ein gebärdenreiches Gespräch verwickelt, über dessen Bedeutung er vergebens rätselte und nach dessen Abschluß der Kellner mit dem Bescheid zurückkam: er bedaure, aber man serviere hier keinen Käse.
Das müsse ein Irrtum sein, widersprach Max Penizek, denn er habe deutlich gesehen, daß der Gast, der bis vor kurzem am Nebentisch gesessen habe, sehr wohl einen Käse serviert bekommen hätte. Und auch er selbst möchte jetzt einen Käse haben.
Abermals berief sich der Kellner auf die Notwendigkeit einer Rückfrage beim Chef. Und während er den Weg zur Kassa antrat, begann Herrn Penizek des Rätsels Lösung zu dämmern: er war, trotz Zugehörigkeit zur jüdischen Glaubensgemeinschaft (woran auch sein Äußeres keinen Zweifel ließ), mit den rituellen Speisegesetzen nur mangelhaft vertraut und hatte nicht bedacht, daß der Genuß sogenannter »milchiger« Speisen verboten war, wenn man kurz zuvor »Fleischiges« gegessen hatte. Das aber hatte Herr Penizek getan.
Nun, wenigstens wußte er jetzt, worum es ging, und als der Kellner ihm die Mitteilung überbrachte, daß ihm der Käse auf Grund des vorangegangenen Fleischgenusses
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