Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
verweigert werde, konterte Herr Penizek mit dem gewissermaßen sachkundigen Argument: der Herr am Nebentisch hätte ein Roastbeef verzehrt und nachher trotzdem einen Käse bekommen, also möge man gefälligst auch ihm einen solchen bringen, und bitte rasch!
Ungerührt beharrte der Kellner auf einer neuerlichen Beratung mit dem Chef; sie erfolgte mit gesteigerter Lebhaftigkeit und unter deutlichen Anzeichen des Mißmuts über den Urheber der entstandenen Komplikationen. Der Mißmut machte sich auch im Gehabe des Kellners bemerkbar, als er Herrn Penizek wissen ließ: es träfe zwar zu, daß der Herr am Nebentisch zuerst Fleisch und dann Käse serviert bekommen habe, aber der Herr am Nebentisch sei kein Jude gewesen, so daß die jüdischen Speisegesetze für ihn keine Geltung besaßen.
Zum Teufel, erboste sich jetzt Herr Penizek, für den es inzwischen zur Ehrensache geworden war, die rituelle Verschwörung zu durchkreuzen, zum Teufel, rief er, auch er sein kein Jude und damit Schluß und her mit dem Käse! Er werde den Chef fragen, replizierte mit steinernem Gesicht der Kellner.
Diesmal verlief das Gespräch an der Kassa ganz kurz. Allem Anschein nach beschränkte sich der Kellner darauf, die Behauptung des Gastes, daß er kein Jude sei, an den Chef weiterzugeben.
Der Chef rückte sein Käppchen zurecht, entstieg dem Kassenverschlag, kam bedrohlich langsam an den Tisch geschlurft und faßte Herrn Penizek prüfend ins Auge. Dann stach er mit spitzem Zeigefinger nach seinem Gesicht:
»No cheese!« entschied er.
Aus einem der reichsten Bezirke des kulinarischen Raumes, aus dem der jüdischen Mehlspeisen, stammt ein Begriff, der weit über seinen Ursprung hinaus symbolhafte Bedeutung erlangt hat und den zu registrieren schon deshalb geboten erscheint, weil er sich im Alltagsleben häufig anwenden läßt. (Anwendbarkeit, wir wissen es bereits aus zahlreichen Beispielen, ist ein gesuchter Aspekt jeglicher Anekdote, Situationspointe oder Wortprägung. Erst das Gleichnis schafft den Wert.)
Was »Zores« sind, weiß jeder bessere Mensch und weiß es, wenn er ehrlich ist, aus eigener Erfahrung. »Zores«, aus dem Hebräischen über das Jiddische so tief in unsern Sprachgebrauch eingedrungen, daß man sie beispielsweise in der Wendung »Gib ihm Saures!« gar nicht mehr erkennt, sind ein Plurale Tantum und bedeuten auf deutsch ganz einfach »Sorgen«.
Was »Fladen« sind, dürfte weniger bekannt sein. Es wäre irrig, bei diesen »Fladen« an die Kuh zu denken. Sie sind das jüdische Gegenstück zur Fächertorte, gehören ursprünglich eher zum polnischen als zum böhmischmährischen Gastronomiebereich und bestehen aus mehreren übereinandergeschichteten Lagen oder Fächern, die wiederum nichts mit dem zu tun haben, womit man sich Kühlung zufächelt (obwohl das nach dem Genuß einer richtigen, geilen Fladentorte dringend ratsam wäre). Die einzelnen Lagen werden aus Mohn sowie aus verschiedenartig präparierten Obstsorten hergestellt, immer mit einer dünnen Teigschicht dazwischen und manchmal noch mit Schokolade versetzt. Je vielfältiger die Fächer, je raffinierter ihre Zusammenstellung, desto höher die Qualität der Fladentorte. Und wenn nun eine Hausfrau (etwa Löwenthalscher Prägung) an den Rand einer weithin merkbaren Verzweiflung gerät, weil sie sich trotz stundenlangem Nachdenken nicht entscheiden kann, ob sie jetzt noch eine Lage gedünsteter Birnen dazutun soll oder nicht doch lieber gestoßene Nüsse, dann bezeichnet man die Sorgen, von denen sie da gepeinigt wird, als Fladenzores.
Es gibt solcher Fladenzores viele. Im Grunde sind sie gemeint, wenn man einem Menschen, der seine Umwelt mit ihnen belästigt, halb tadelnd und halb neidig zuruft: »Ihr e Sorgen möcht ich haben!«
Die Fladentorte gehörte zu den Spezialitäten, für die das Restaurant Neugröschl im II. Wiener Gemeindebezirk berühmt war. Noch berühmter war es für die Person seines Besitzers, eines Originals von seltener Urwüchsigkeit und ebensolcher Grobheit, die an seiner vierschrötigen Gestalt nachdrückliche Stützung fand. Es war nicht gut, Herrn Neugröschl zu widersprechen oder sich sonstwie mit ihm anzulegen. Wenn ein Stammgast gelegentlich fragte (und nur ein Stammgast durfte das überhaupt riskieren): »Herr Neugröschl, was gibt‘s denn heute besonders Gutes?« und wenn Herr Neugröschl antwortete: »Was auf der Karte steht«, dann tat der Stammgast am klügsten, den schroffen Bescheid hinzunehmen und nicht etwa aufzumucken,
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