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Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen

Titel: Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Sinhuber (Hrsg)
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wie ein Verwegener es einmal tat: »Dazu hätte ich Sie ja nicht fragen müssen«, murrte er und empfing die prompte Replik: »Nicht? Was fragen Sie denn so blöd? Von mir aus müssen Sie erst gar nicht herkommen!« Denn Herr Neugröschl konnte auf Gäste mühelos verzichten. Er hatte ihrer übergenug.
    Auch ich durfte einmal einer garantiert echten Neugröschl-Grobheit teilhaftig werden. Ich war gemeinsam mit einem Freund zum Mittagessen gekommen, mit Absicht ein wenig spät: wir hofften auf raschere Bedienung, wenn der übliche Andrang vorüber wäre. Tatsächlich fanden wir bei unserem Eintritt nur noch zwei oder drei Tische besetzt, und als auch diese sich geleert hatten, waren wir die einzigen, die noch essen wollten.
    Aber wir warteten vergebens auf einen Kellner, dem wir das hätten sagen können. Offenbar hatten wir uns übermäßig verspätet, und es war bereits die Essenszeit für das Personal angebrochen.
    Ungefähr zehn Minuten mochten vergangen sein, als die zweiflüglige Milchglastüre, die zur Küche führte, von innen aufgestoßen wurde. Herr Neugröschl erschien im Lokal, näherte sich unserem Tisch und blieb, wenn auch mit nur undeutlich gemurmeltem Gruß, so doch mit deutlich fragendem Gesichtsausdruck vor uns stehen.
    »Herr Neugröschl«, sagte ich zaghaft, »wir sitzen jetzt schon seit einer Viertelstunde hier und möchten gerne etwas bestellen. Wäre das möglich?«
    Daraufhin wandte Herr Neugröschl sich wortlos um, schritt zur Küchentür zurück, öffnete sie vermittels eines wuchtigen Tritts gegen den einen Flügel und rief so laut, daß auch wir es hören konnten, in die Küche hinein:
    »Was ist denn? Zwei lausige Gäst‘ sind da und nicht einmal bedient werden sie?!«
    Ich versage mir – wie bei so vielen ähnlichen Gelegenheiten – eine Wiedergabe der wienerisch-jüdischen Dialektmixtur, deren er sich bediente. Der Leser mag sie nach Möglichkeit erahnen, erfühlen oder (in günstigen Fällen) erinnern. Das käme auch der nun folgenden Geschichte sehr zustatten, die sozusagen das Paradigma der Behandlung darstellt, die Herr Neugröschl seinen Gästen angedeihen ließ und die auf einer Umkehrung des im Gastgewerbes üblichen Leitsatzes beruhte, demzufolge der Gast immer recht hat. Bei Herrn Neugröschl hatte der Gast immer unrecht.
    Die Geschichte, die das auf einmalig überzeugende Art bestätigt, wurde von so vielen Seiten berichtet und herumgeboten, daß sich die Frage nach ihrer historischen Wahrhaftigkeit erübrigt. Sie weist die unverkennbaren Merkmale einer weitaus höher einzuschätzenden inneren Wahrhaftigkeit auf, und es gab eine Zeit, da sie in Wien so populär war, daß ihre Schlußwendung den Rang eines Zitats erreichte. Heutzutage würde man sicherheitshalber wohl erst erklären müssen, daß »Kaiserschmarrn« eine beliebte Wiener Mehlspeise ist (bestehend aus kleingerissenem, mit Zibeben angerichtetem Palatschinkenteig) und daß die »Zwetschgenröster« – im eigenen Saft gedünstete Pflaumen – als des Kaiserschmarrns klassische, aber keineswegs einzig zuverlässige Beilage gelten.
    Die Geschichte beginnt damit, daß eines heißen Sommertages ein Gast des Restaurants Neugröschl zum Abschluß seines Menüs einen Kaiserschmarrn bestellt.
    »Was dazu?« fragt der Kellner, unter der Einwirkung der Hitze – die überhaupt eine gewisse Knappheit des Dialogs zur Folge hat – noch mürrischer als sonst.
    »Ein Kompott.«
    »Was für ein Kompott?«
    »Egal.«
    Nach einer angemessenen Frist serviert der Kellner den Kaiserschmarrn mit einer Portion Zwetschgenröster als Beilage; er will sich entfernen, wird jedoch vom Gast zurückgehalten:
    »Herr Ober, ich habe als Beilage ein Kompott bestellt.«
    Der Kellner, mit entsprechender Handbewegung:
    »Da steht‘s ja.«
    »Was steht da?«
    »Ihr Kompott.«
    »Das sind Zwetschgenröster.«
    »Eben.«
    »Was heißt eben? Wenn ich ein Kompott bestelle, will ich keine Zwetschgenröster.«
    »Warum nicht?«
    »Weil Zwetschgenröster kein Kompott sind!«
    »Zwetschgenröster sind kein Kompott?« fragt mit provokanter Überlegenheit der Kellner.
    »Nein!« brüllt der Gast.
    »Zwetschgenröster sind ein Kompott.« Jetzt hebt auch der Kellner die Stimme.
    »Zwetschgenröster sind kein Kompott! Rufen Sie mir den Chef!«
    Das erweist sich im selben Augenblick als überflüssig. Herr Neugröschl, angelockt durch die immer lauter gewordene Auseinandersetzung, die bereits vom ganzen, dicht gefüllten Lokal mit größter Aufmerksamkeit

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