Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
Tieflader SSI 53, fahren, halten, fahren weiter, umrunden einander, donnern durch den Tunnel und über den Viadukt. Ein glänzendes farbenfrohes Bild, eine Märchen-Wonnewelt. Signale und Weichen springen, Schranken heben und senken sich vor wartenden Autos und Passanten, Lichter blinken, an den Bahnhöfen stehen Fahrdienstleiter – Reisende, Güter warten aufs Verladen – und oben im Gebirge rinnt neben dem Bahnwärterhäuschen ein dünner Wasserstrahl aus dem Brünnlein, für das Schröder noch etwas ganz Putziges besorgt hat. Der Strahl treibt ein kleines Wasserrad, eine Miniaturmühle. Das heißt, er soll. Leider rinnt er nur ab und bewegt das Rad nicht. Schade. Wir prüfen und rücken, der Plastik-Wassertank unter der Platte ist gefüllt, die Pumpe surrt, aber das Rad mag sich einfach nicht drehen.
»Hm –«, sagt Schröder um halb fünf Uhr früh. »Woran mag das liegen?«
Ich bin zu müde, um nachzudenken, und zu glücklich, daß das Werk vollendet ist, bis auf das alberne Radl. Ich danke ihm von Herzen für alles, der Chauffeur wartet, und als er fort ist, sinke ich glücklich und stolz ins Ehebett. Ellen tut wohl nur so, als schliefe sie. Aber dann schlummern wir doch gemeinsam dem Weihnachtsabend entgegen.
Dominik wird mittags zur Oma gebracht, die ihn um halb 5 wieder abliefern wird. Wir schleichen wortlos jeder zu seinem Baum. Sie schmückt oben fertig, ich unten. Um 4 Uhr beraten wir uns kurz und sachlich. Ich schlage vor:
»Erst oben – dann unten.«
»Das könnte Dir so passen, den Rest des Abends im Keller hocken! Nix – um fünf unten, genau eine Stunde lang, dann kommt das wirkliche Weihnachten – oben, mit Musik und Essen. Für was, glaubst Du, hab ich vier Gänge gekocht? Für den Keller?«
Ich sage nichts, aber ich denke: du wirst Dich wundern. Der Bub ist doch von der Bahn nicht mehr wegzubringen. Und ich auch nicht.
Oma und Dominik kommen. Er zappelt vor Aufregung. Wir machen Musik und zünden soeben den Baum an, den oben – da klingelts.
»Nanu? – Wer ist das, um diese Zeit?«
Ich öffne. Schröder steht da und flüstert: »Entschuldigen Sie tausendmal, aber ich hab die Lösung. Kann ich einen Moment in den Keller? Will gar nicht stören – bin gleich wieder weg«, und huscht schon die Treppe hinunter.
Es ist nicht einfach, der Familie den Besuch des Chefs um diese Zeit zu erklären. Ich sag zwar : »Er ist Junggeselle und sicher einsam heut. Wir sollten ihn einladen, mitzufeiern!«
»Kommt nicht in Frage!!« faucht Ellen. »Er soll sich bei seinen Millionären anwanzen, nicht bei mir!«
Ich verspüre Lust, eine Debatte über Sozialneid anzufangen, aber da blicke ich in die funkelnden Augen der Schwiegermutter. Sie kann mich ja nicht ausstehen, ich mach ja immer alles falsch.
»Geh runter, und schmeiß ihn raus«, verlangt Ellen.
»Das tu ich nicht!« weise ich sie zurecht, so souverän es mir glücken will. »Er ist mein Chef und hat mir nur Gutes erwiesen. Besonders in den letzten Wochen, vergiß das nicht! Ich geh zu ihm und werd ihn heraufbitten, in unseren Kreis –!«
Ellen ruft mir nach: »Untersteh Dich! Dann bleib Du auch gleich unten! Dann machen wir hier für uns allein Bescherung. Kannst ja dazukommen, wenn er wieder weg ist.«
Unten hat Schröder den Wassertank angeschraubt und flüstert: »Ich hab die ganze Zeit nachgedacht. Vor ‚ner Stunde ist mir‘s eingefallen. Ist doch klar: für die winzige Pipette ist Leitungswasser zu hart. Wir müssen es entspannen, weich machen. Da –!«
Er zeigt mir eine Flasche, auf der steht: ›Pril – entspannt das Wasser‹, und schüttet hastig den Inhalt in den Tank. »Jetzt funktioniert‘s, Sie werden sehen –« – und schaltet ein.
Die Pumpe beginnt zu surren. Der dünne Strahl läuft, aber das Rad bewegt sich nicht.
»Moment«, flüstert er. »Das muß erst einmal umwälzen und sich lösen. Dauert ein paar Minuten.«
»Ich muß aber wieder rauf –«, beginn ich zu jammern. »Gehen sie nur. Sowie es funktioniert, verschwinde ich wie ein Mäuschen und Sie führen die Pracht ungestört vor.« Seine Augen flackern.
Ich rauf. Dort tönt Musik. Der Baum und Dominik strahlen. Ich krieg einen Pullover, zwei Krawatten und den ›Turmschreiber-Kalender‹, Oma drei Seidenblusen und einen Schnellkochtopf, und Ellen staunt nicht schlecht, als ich die schöne Brosche aus der Tasche ziehe. Zum erstenmal seit Tagen lächelt sie wieder ein wenig.
Dominik, mit Büchern, Spielen, Keksen und der Skiausrüstung offenbar
Weitere Kostenlose Bücher