Wenn der Christbaum brennt - und andere heitere Weihnachtskatastrophen
verfolgt wird, ist an den Tisch getreten und fragt nach der Ursache des Lärms. Selbstverständlich fragt er den Kellner und nicht den Gast, dem er mit einer scharfen Handbewegung Schweigen gebietet.
»Der Herr hat Kaiserschmarrn mit Kompott bestellt«, berichtet der Kellner, »und ich hab ihm Zwetschgenröster gebracht.«
»No also«. Mit gerunzelten Brauen mustert Herr Neugröschl den widerspenstigen Gast. »Was will er denn noch?«
»Er sagt, Zwetschgenröster sind kein Kompott.«
»Was sagt er?« Herr Neugröschl tritt dicht an den Beschuldigten heran. »Das haben Sie wirklich gesagt?«
»Natürlich«, antwortet der Gast.
»Sagen Sie‘s noch einmal.«
»Zwetschgenröster sind kein Kompott.«
Daß er von Herrn Neugröschl niemals recht bekommen wird, muß ihm längst klar gewesen sein. Aber was ihm jetzt passiert, hat er ganz gewiß nicht vorausgesehen: Herr Neugröschl, der Hitze wegen in Hemdsärmeln, krempelt dieselben hoch, packt ihn mit der einen Hand am Genick, mit der anderen um die Taille und befördert ihn mit dem Ruf: »Zahlen brauchen Sie nicht, Sie sind mein Gast!« zur Türe hinaus.
Dann – und das ist der eigentliche Kern der Geschichte – pflanzt sich Herr Neugröschl mitten im Lokal auf, seine Blicke schweifen in die jäh verstummte Runde der Gäste, die sich ängstlich über ihre Teller ducken, und seine Stimme klingt unheilkündend, als er Anlauf nimmt:
»Es sind noch ein paar da, die sagen, Zwetschgenröster sind kein Kompott!« Und schüttelt drohend die erhobene Faust: »Aber ich kenn sie alle!!«
Daß Neugröschls Konkurrenten ihm nicht wirklich gefährlich werden konnten, bekundet eine Geschichte, die aus dem geographisch wie ideologisch nahe zu Neugröschl gelegenen Restaurant Tonello berichtet wird. Dort erschien zu früher Mittagsstunde ein Gast und bestellte Scholet, jenes ungemein fetthaltige, schwer verdauliche Meisterwerk jüdischer Kochkunst, das von Heinrich Heine in frevler Schiller-Parodie als »schöner Götterfunken« besungen wurde.
Der Kellner kam aus der Küche zurück und bedauerte: das Scholet sei noch nicht fertig.
»Was?« rief der enttäuschte Gourmet. »Halb eins und noch kein Scholet? Bei Neugröschl wird schon gerülpst!«
Von den übrigen jüdischen Eßlokalen behauptete sich am weitaus besten der sogenannte »Würstel-Biel«, eine Selchwarenhandlung mit angeschlossenem Speisesaal, wo man außer den hauseigenen Erzeugnissen auch noch andere Gerichte bestellen konnte. Zum Unterschied von Herrn Neugröschl, wenn auch aus ähnlich mürrischer Veranlagung, trat Herr Biel mit seinen Gästen in keinerlei Kontakt. Ab und zu sah man ihn im Hintergrund des Lokals auftauchen und übellaunig die Kassa kontrollieren (die ihm zu übler Laune gewiß keinen Anlaß gab) – dann verschwand er wieder im Comptoir, ohne jemanden eines Blickes gewürdigt zu haben.
Von Eingeweihten hörte man, daß er trotz zufriedenstellendem Geschäftsgang mit seinem Leben unzufrieden war, und manche Anzeichen sprachen dafür, daß er seinen Beruf verfehlt zu haben glaubte. Sie sprachen aus den von ihm textierten Plakaten, die – teils gereimt, teils in jeder Hinsicht ungereimt – an den Wänden seines Lokals hingen. Er verkehrte mit seiner Kundschaft sozusagen per Plakat.
Von den gereimten waren es besonders zwei, die seiner abgeschnürten lyrischen Ader zur Geltung und sogar zu einer gewissen Popularität verholfen hatten:
Willst du essen gut und viel,
Mußt du gehn zum Würstel-Biel.
Schon Hamlet fragte einst, so geht die Sage:
To Biel or not to Biel, das ist die Frage.
Diese beiden markigen Sinnsprüche wurden auch als Inserate verwendet, indessen Biels Prosa sich auf das eigentliche Lokal beschränkte und nicht ohne weiteres verständlich war:
»Die P.T. Gäste werden ersucht, das Essen nicht auf den Boden zu werfen«, lautete eine an mehreren Stellen angebrachte Warnung, die den Eindruck entstehen ließ, daß die Gäste, wenn sie an einem Gericht etwas auszusetzen fanden, kurzen Prozeß machten und es mit entrüstetem Schwung zu Boden schleuderten. Dem war nicht so. Vielmehr bewirkten Qualität und niedrige Preise des Bielschen Angebots, daß der ohnehin nicht sehr geräumige Speisesaal immer gesteckt voll war und die runden Tische weit über ihre Kapazität ausgenützt wurden. Wenn nun an einem Tisch, der maximal fünf Personen halbwegs auskömmlichen Platz geboten hätte, ihrer sechs oder sieben saßen, konnten sie im solcherart eingeengten Aktionsradius ihren Tellern
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