Wenn der Golem erwacht
Schlafzimmer.
Max lag seitlich im Bett und hatte die Decke bis ans Kinn hochgezogen. Jetzt schlug sie die Decke zurück.
»Ich möchte nicht allein sein, nicht diese Nacht. Magst du hier schlafen? Das Bett ist breit genug.«
Ich konnte nicht anders, als ihren schönen Körper zu betrachten. Bei dem Gedanken, was die drei Typen mit ihr hatten anstellen wollen, kochte die Wut in mir hoch. Wären sie jetzt noch hier gewesen, hätte ich sie vielleicht erschossen.
»Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, fragte ich Max.
Gleichzeitig richtete ich die Frage an mich selbst. Nur zu genau erinnerte ich mich an das letzte intime Beisammensein mit einer Frau und an die Folgen, die das für mich gehabt hatte. Andererseits war es wohl kein Grund zum chronischen Misstrauen. Nicht jeder Beischlaf musste mit einem Feuerüberfall enden. Allerdings waren meine diesbezüglichen Erfahrungen irgendwo in dem schwarzen Loch verschollen, das in meinem Gedächtnis klaffte.
»Ich brauche dich jetzt«, sagte Max. »Aber ich will keine Doktorarbeit darüber schreiben.«
Lachend stieg ich in ihr Bett und sie schlang die Decke um uns beide. Als sie sich eng an mich drückte, genoss ich es vielleicht noch mehr als sie. Ihre Nähe gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Ich wusste, es war nur eine Illusion, aber die schönste, die ich mir vorstellen konnte.
7
A ls das viel zu helle Licht durch die Schleier des Erwachens fiel, schloss ich die Augen wieder und drehte mich zur Seite, weg vom Fenster. Ich sehnte mich zurück nach dem tiefen und traumlosen Schlaf ohne Blut, ohne Tod und ohne Angst. Auch wenn es nur wenige Stunden gewesen sein mochten, sie erschienen mir erholsamer als viele unruhige Nächte zusammen.
Erschöpft von einem langen Tag, von einer aufregenden nächtlichen Episode und nicht zuletzt von der Leidenschaft, die zwischen Max und mir entbrannte, war ich in ihren Armen eingeschlafen. Mir erschien es wie der selige Schlummer eines arglosen Kindes, und ich bekämpfte die mir dämmernde Erkenntnis, dass dieser Glückszustand ein Selbstbetrug war.
Schon als Kind täuscht man sich, wenn man pures Glück zu empfinden glaubt. Zu rasch sind die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum ausgepackt, sind die scheinbar unendlich langen Wochen der Sommerferien vorüber, werden die kindlichen Träume verlacht. Auch ich hatte einst das vermeintliche Glück kindlicher Unschuld gekannt. Verschwommen tauchten in mir Bilder von einem bewaldeten Seeufer auf, von Segelbooten und weißen Ausflugsdampfern. Ich sah zwei Jungen unterschiedlichen Alters in Badehosen. Über einen ordentlich gemähten Rasen liefen sie vom Ufer zu einem großen hellen Haus, von wo ihnen eine Frau zuwinkte. Hinter dem Haus stand ein Mann am Grill und es duftete nach Holzkohle und Gewürzen.
Ich begriff, dass ich der kleinere der beiden Jungen war. In dieser Sekunde löste sich das Bild auf, noch ehe ich mir die Gesichter einprägen konnte. Das Haus verlor seine Konturen, der grüne Rasen, der silbrige See und die weißen Boote verschmolzen zu einer grauen Masse. Ich wollte das Bild festhalten und die Menschen, die mir – das begriff ich – einst viel bedeutet hatten. Ich rief ihnen zu, sie sollten mich nicht verlassen, aber es war zu spät.
»Was hast du? Schlechte Träume?«
In der offenen Schlafzimmertür stand Max und sah mich fragend an. Sie trug zerschlissene Jeans und ein ehemals weißes T-Shirt, dessen Farbe allmählich in ein schmutziges Grau übergegangen war. Unter den Achseln hatten sich große Schweißflecke gebildet.
»Was sagst du?«, fragte ich und bemerkte, dass meine Stimme rau klang, fast heiser.
»Nein, du hast was gesagt, ziemlich laut.« Max trat näher und ich bemerkte den Putzlappen in ihrer Hand. »Ich glaubte, du hättest mich gerufen.«
»Nicht dich.«
»Wen sonst?«
»Ich weiß es nicht genau. Es war wie ein Traumbild, aber doch mehr, eine Erinnerung an meine Kindheit.«
Ihr Gesicht hellte sich auf. »Du kannst dich erinnern?«
»Das glaubte ich, aber nur für einen Augenblick.« Ich richtete mich im Bett auf und schüttelte den Kopf. »Inzwischen weiß ich nicht, ob es überhaupt etwas mit mir und meiner Vergangenheit zu tun hatte. Möglicherweise war es doch nur ein Traum, ausgelöst von meinem Wunsch nach Erinnerung.«
»Vielleicht solltest du einen Arzt aufsuchen, einen Spezialisten.«
»Die sind teuer. Und ich weiß nicht mal, in welcher Krankenkasse ich bin.«
Max beugte sich zu mir vor und
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