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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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bestand kein Mangel. Zum Teil stammten sie aus dem Theaterfundus, zum Teil waren es an der Garderobe abgegebene und nicht wieder abgeholte Stücke. Wie vergesslich die Menschen sein können, wusste wohl niemand besser als ich.
    In einem Großmarkt kauften wir jede Menge Lebensmittel und Getränke sowie einiges für meinen persönlichen Bedarf: Zahnbürste, Unterwäsche und so weiter. Auf dem Rückweg hielten wir bei einem Baumarkt, um ein neues Sicherheitsschloss für die beschädigte Tür zu kaufen. Eine Bohrmaschine und Werkzeug gab es im Theater, und ich ersetzte das zerstörte Schloss binnen einer halben Stunde.
    »Wo hast du das gelernt?«, staunte Max.
    »Keine Ahnung«, sagte ich und stürzte mich auf den Zeitungsstapel, für den ich meine letzten Mäuse ausgegeben hatte. Von jetzt an war ich finanziell auf Max angewiesen.
    Ich durchforstete lokale Käseblätter, sämtliche großen Berliner und überregionalen Tageszeitungen, ohne eine Suchmeldung nach mir oder einen Hinweis auf die Geschehnisse irgendwo in der Uckermark zu finden.
    »Deine Flucht scheint kein besonderes Aufsehen erregt zu haben«, meinte Max. »Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.«
    »Was zwei Schlüsse zulässt. Entweder haben Dr. Ambeus und seine Leute die Behörden nicht informiert, oder die Behörden selbst halten den Deckel drauf.«
    »Oh!« Max machte ein erstauntes Gesicht. »Das klingt jetzt aber nach einer Verschwörungstheorie, Agent Mulder.«
    »Ich vertraue halt niemandem«, erwiderte ich grinsend. »Außerdem ist es eine logische Schlussfolgerung, oder?«
    Statt mir zu antworten, starrte Max auf eine der aufgeschlagenen Zeitungen, die den Boden des Wohnzimmers bedeckten. Sie hob das betreffende Exemplar auf und brummte empört: »Nur ein Einspalter neben der Toupetwerbung!«
    »Was denn?«
    »Unser Abenteuer am Tiergarten, hier steht's. ›Dreister Raub am Brandenburger Tor.‹ Soll ich vorlesen?«
    Ich bejahte.
    »Gestern Abend gegen zwanzig Uhr wurde ein Tourist aus Hameln am Brandenburger Tor beraubt. Ein Unbekannter entriss ihm seine Videokamera und verschwand damit im Tiergarten. Die sofortige Verfolgung durch zwei Polizisten blieb ohne Erfolg. Zeugen des Vorfalls, Angehörige der Hamelner Reisegruppe, beschreiben den Täter als mittelgroß, zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Einigen Aussagen zufolge soll er einen Bart, nach anderen Aussagen auch eine Brille getragen haben.« Max ließ die Zeitung sinken. »Etwas genauer hätte es schon sein können!«
    »Sei doch froh!«, lachte ich. »Willst du ein Fahndungsfoto auf Seite eins?«
    »Du hast es erfasst, Schlaukopf.«
    »Aber warum?«
    »Das wäre mal ein Grund, sich eine neue Verkleidung auszudenken. Aber so wäre es verschwendete Liebesmüh.«
    »Bereitet dir das Verkleiden solche Freude?«
    »Na hör mal, ich bin Schauspielerin! Und das ist zur Zeit die einzige Möglichkeit, meinen Beruf auszuüben.«
    »Du solltest es mal beim Fernsehen versuchen. Junge hübsche Frauen werden da immer gesucht.«
    »Was denn?«, entfuhr es ihr verächtlich. »Soll ich das Glücksrad anwerfen und vorher dem Produzenten den Schwanz lutschen? Vielen Dank!« Sie blickte auf die Uhr. »Wird Zeit für mich.«
    »Für was?«
    »Für die Arbeit.«
    »Willst du etwa wieder …«
    »Ich denke, du bist pleite«, unterbrach sie mich. »Außerdem habe ich heute genug das Heimchen am Herd gespielt. Wenn du Hunger kriegst, der Kühlschrank ist voll.«
    Eine halbe Stunde später war Max wieder der bärtige Mann, den ich gestern Abend verfolgt hatte. Ich küsste sie auf den bartumwucherten Mund, bevor sie in den Golf stieg und in die Dämmerung davonrauschte.
    Den Abend verbrachte ich vor der Glotze, zappte mich durch etliche Nachrichtensendungen und Videotexte. Aber auch hier stieß ich auf nichts, was mich weiterbrachte. Immerhin half es mir, wie schon das Zeitungsstudium, die aktuellen Ereignisse auf die Reihe zu kriegen.
    Ich hatte eine Lücke von vier bis fünf Wochen. Das passte nicht ganz zu den achtzehn Tagen Klinikaufenthalt, von denen Dr. Ambeus gesprochen hatte. Doch das verwirrte mich nicht, ich hielt Ambeus für alles andere als einen aufrichtigen Menschen.
    War in der zweiten Augusthälfte mein Gedächtnis und damit mein ganzes bisheriges Leben ausradiert worden? Es musste so sein. Ich versuchte, mich an den August zu erinnern und an das, was ich vor einem Monat getan hatte. Fehlanzeige. Sobald ich über mich nachdachte, tat sich der schwarze Schlund des Vergessens auf.
    Im

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