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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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etwa handtellergroß.
    Am Rand des Tiergartens entlang ging ich auf den INTEC-Tower zu. Getrieben von der Hoffnung, ich könnte Teile des Vergessenen aus dem Loch in meinem Gehirn hervorziehen, wenn ich das Gebäude aus der Nähe oder aus einem anderen Blickwinkel betrachtete. Ich wusste nicht, was ich suchte, aber ich ahnte, dass ich hier fündig werden konnte.
    Als ich die mit sauber gestutzten Büschen bestandene Grünanlage vor dem INTEC-Tower betrat, kam ich mir winzig vor angesichts des hochaufragenden Turms. Er nahm einen Gutteil meines Sichtfelds ein und degradierte die sich anschließende Baustelle mit ihren Containern, Zäunen und Kränen zu einem belanglosen Hinterhof. Plötzlich begann der Turm zu zittern und zu wanken, neigte sich vor und zurück, als wollte er in zwei Hälften zerfallen.
    Aber er schwankte nicht wirklich. Mein Gehirn rief diesen Eindruck hervor, als es ein Bild aus verschüttet geglaubter Erinnerung hervorkramte und auf den Tower projizierte. Ich sah ihn zweimal, einmal jetzt und einmal in der Vergangenheit.
    Und wieder verschwand die Erinnerung in dem Augenblick, als ich nach ihr griff, um sie festzuhalten. Heißer Schmerz durchströmte meinen Kopf und verbrannte jeden Gedanken an das, was mich mit dem Gebäude verband. Schweiß rann von meinem Gesicht und durchtränkte Hemdkragen und T-Shirt. Ich setzte mich auf eine Bank, die vor einer kleinen Hecke stand, und wischte mit der Hand über meine nasse Stirn.
    Dabei bemerkte ich den Mann, der am Rand der Lennestraße stand und ein Fahrzeug zu sich heranwinkte. Ich glaubte, den Typ von eben wieder zu erkennen. Hatte er sich ein Taxi aus dem Verkehrsstrom gefischt? Nein, es war eine dunkle Limousine, die mit einem unsanften Bremsmanöver halb auf dem Bürgersteig anhielt. Die Türen wurden aufgerissen, drei Männer stiegen aus, sprachen aufgeregt mit dem anderen, und alle vier sahen mehrmals in meine Richtung.
    In mir schrillten sämtliche Alarmglocken in den höchsten Tönen. Die Bedrohung, die von den vier Fremden ausging, war für mich fast greifbar. Ich zwang mich zur Ruhe, erhob mich bewusst langsam und schlenderte über den begrünten Vorplatz auf den Turm zu. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die vier. Ungeachtet jeder Verkehrsvorschrift ließen sie den Wagen stehen und folgten mir. Falls ich noch Zweifel an dem Grund ihrer Anwesenheit gehabt hatte, waren sie jetzt verflogen.
    Mein Tempo beschleunigend, ging ich quer über den knöchelhohen Rasen auf den Bereich zu, wo der INTEC-Tower mit dem Baugelände verschmolz. Falls ich ein Versteck benötigte, würde ich es am leichtesten in dem Wirrwarr von halb fertigen Gebäuden und Baumaschinen finden.
    Ein Blick über die Schulter zeigte mir, dass meine Verfolger in Laufschritt verfielen. Vier kräftige Männer in dunkler Kleidung. Abgesandte von Dr. Ambeus?
    Die Karten waren aufgedeckt, also begann auch ich zu laufen, zu rennen. Zwar hatte ich den Smith & Wesson bei mir, doch war ich nicht so naiv, das für mich als Vorteil zu verbuchen. Es wäre töricht gewesen, die vier anderen für unbewaffnet zu halten.
    Ein anderer Gedanke schoß mir durch den Kopf, jetzt, viel zu spät, um mich zu warnen: Das klickende Geräusch vorhin war von der Tastatur eines Handys gekommen. Der Mann mit dem Feuermal hatte Verstärkung herbeigerufen. Doch wie hatte er mich gefunden?
    Noch zwanzig Meter bis zum Baugelände, als ich von rechts das Knacken von Zweigen hörte. Weitere Verfolger, die mir den Weg abschneiden wollten?
    Rechts aus dem Gebüsch trat, unsichtbar für die vier Männer, eine Frau. Ihr halblanges blondes Haar leuchtete im Licht einer der altertümlichen Bogenlaternen, die den Park schmückten, und perlenbesetzte Ohrhänger blitzten auf, als sie ihren Kopf drehte, um mich anzusehen. Verwunderung lag in ihrem Blick. Sie traf keine Anstalten, sich mir in den Weg zu stellen. Aber dazu waren ihr kleines Schwarzes und die hochhackigen Schuhe mit den Bleistiftabsätzen auch nicht geeignet.
    Ich rannte an ihr vorüber am Bauzaun entlang bis zu einer Toreinfahrt, die verschlossen und mit einer schweren Eisenkette gesichert war.
    »Bleib stehen, oder wir schießen!«
    Das rief einer aus dem Pulk meiner Verfolger und griff unter seine Jacke, um die Waffe zu ziehen.
    Ich wartete nicht ab, bis er soweit war. Ein Sprung nach oben, und meine Hände griffen über den Rand des Tores. Ich zog mich hoch, schwang mich über das Holz tor und sprang dahinter auf den von schweren Baufahrzeugen

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