Wenn der Hunger erwacht (German Edition)

Schatten zornig.
    Ian wollte schon fragen, was dem Typ über die Leber gelaufen war, aber Molly, die offenbar entschlossen war, die Einmischung einfach zu ignorieren, kam ihm zuvor. „Sie nehmen also an, dass tatsächlich ein entflohener Geist eines Casus hinter Ian her ist, nicht bloß ein erwachender Casus, der in einem ihrer menschlichen Nachkommen steckt, so wie das bei Ian und seinem Merrick-Anteil der Fall ist?“
    „Unglücklicherweise“, seufzte Quinn, „glauben wir, dass es sich exakt so verhält. Das würde auch erklären, warum der Casus so viel stärker ist als Buchanan.“ Er betrachtete Ian. „Der Merrick in Ihnen erwacht nur langsam, erkennt erst nach und nach sein wahres Potenzial. Aber der Casus, oder der Schatten eines Casus, ist echt, einer der ursprünglichen Casus, und er lebt nun in einem Körper, den er von irgendeinem nichts ahnenden Menschen gestohlen hat, der das Pech hatte, einen kleinen Tropfen Casus-Blut in seinen Adern zu haben.“
    „Wie sich das anfühlt, weiß ich“, murmelte Ian.
    „Ist das wahr?“, höhnte Aiden Shrader aus dem Schatten. „Sag doch mal, du Mensch. Was ist so schlecht daran herauszufinden, dass du nicht nur ein totales Arschloch bist?“
    Scott und Quinn stöhnten, und der Riese marschierte aus dem Raum und trampelte draußen offenbar eine Treppe hinunter. „Ignorieren Sie Aiden am besten einfach“, meinte Scott entschuldigend. „Er hält nicht viel von der Menschheit.“
    „Wäre mir nie aufgefallen“, konterte Ian sarkastisch und fragte sich, ob dieser bestimmte Watchman wohl noch zum Problem werden könnte.
    „So manchen Groll kann man leicht wegstecken, manch anderen hingegen nicht“, erklärte Quinn.
    „Mir ist wurscht, was er für Kummer hat. Ich will bloß nicht, dass dieser Kerl in ihre Nähe kommt.“ Ian deutete mit dem Kinn auf Molly.
    „Er ist absolut integer“, versicherte ihm Scott. „Aiden ist auch der Meinung, dass es richtig ist, Sie hierherzubringen. Er braucht nur ein bisschen Zeit, bis er sich daran gewöhnt.“
    „Ob der sich an uns gewöhnt oder nicht ist mir erst recht schnuppe“, schnauzte Ian unfreundlich. „Ich will bloß, dass er sich von ihr fernhält.“
    Die Unterhaltung bekam plötzlich eine schlechte Wendung, Molly spürte das sofort und nahm den alten Gesprächsfaden wieder auf. „Vorhin sagten Sie, in der Legende sei nur von einem Casus die Rede, der fliehen und in diese Welt zurückkehren kann, um nach einem Merrick zu suchen. Aber dann haben Sie von Erwachen gesprochen, als ginge es um mehr als nur einen. Befürchten Sie, dass noch mehr Casus entkommen können?“
    Quinn lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. „Um ehrlich zu sein, wir sind nicht sicher, was alles passieren kann. Manche glauben, wenn erst einmal ein Schatten eines Casus den Weg zurück gefunden hat, werden ihm andere folgen. Wenn die Zigeuner mit ihrem Glauben recht haben, dass die Natur immer ein Gleichgewicht zwischen den Spezies herstellt, dann würde für jeden entflohenen Casus ein Merrick erwachen. Und jedes Mal, wenn ein Schatten unsere Welt betritt, wird er nach diesem Merrick suchen, nicht nur, um ihn zu fressen und damit seine Macht zu stärken, sondern auch um seinen Rachedurst zu stillen. Es sind nur wenige Familien bekannt, die Casus-Blut in sich tragen – die Nachkommen ihrer menschlichen Opfer, die von diesen Monstern vergewaltigt wurden und es durch irgendeinen puren Zufall geschafft haben, mit dem Leben davonzukommen. Viele Watchmen weltweit beobachten diese Familien sehr genau, aber bis jetzt ist nichts Verdächtiges vorgefallen. Was uns annehmen lässt, dass sie sich an eine Familie halten, die uns nicht bekannt ist.“ Er starrte Ian an. „Und wir glauben, dass Sie von allen Nachkommen der Merrick der erste sind, der bis jetzt erwacht ist.“
    Ian atmete aus. „Was ist mit meinem Bruder und meiner Schwester?“
    „Falls tatsächlich noch mehr Casus entkommen, werden sie ohne Zweifel Ihren Bruder und Ihre Schwester jagen … und die Merrick-Anteile ihrer Natur werden erwachen.“
    „Großer Gott“, stöhnte er. „Wir haben überhaupt keine Ahnung, wo Saige gerade steckt.“
    „Glücklicherweise“, säuselte Scott, „wissen wir das. Seit Sie damals Ihr Zuhause verlassen haben, stehen alle Buchanan-Geschwister unter Überwachung. Ihre Schwester befindet sich zurzeit bei einer ihrer archäologischen Ausgrabungen in Südamerika. Sie ahnt zwar nichts davon, aber ein Watchman verfolgt jede ihrer