Wenn der Hunger erwacht (German Edition)
deshalb an Molly herangemacht? Wusste sie, dass er ihr nicht widerstehen könnte? Dass er völlig in ihren Bann geraten würde?
„Wieso hast du mir das nicht erzählt?“
„Ich weiß auch nicht“, wisperte sie, langsam den Kopf schüttelnd. Wie verletzt sie war, stand in ihren feuchten Augen geschrieben. „Zum einen hast du nie gefragt. Nicht nach der ersten Nacht, als ich noch versuchte, dich dazu zu bringen, mir zu glauben. Ich dachte, wenn du wüsstest, dass ich sie gekannt habe, wärst du erst recht davon überzeugt, ich wollte dich nur reinlegen. Später habe ich es weiter für mich behalten, weil ich tief im Innern die ganze Zeit wusste, dass du irgendwann abhauen würdest. Glaube ich.“ Sie sah sich unsicher in dem Wohnzimmer um. „Wahrscheinlich habe ich gehofft, dass du dann vielleicht … vielleicht hierherkommen würdest.“ Sie machte eine Pause, hob dann entschlossen das Kinn. „Hast du schon Blut getrunken?“
„Nein.“ Er fragte sich, ob Kierland ihr von Morgan erzählt hatte.
„Vermutlich bedeutet dir das nichts, aber ich bin sehr froh darüber.“
Sie hatte das Herz auf der Zunge, als sie da vor ihm stand, so stark und doch so furchtbar verletzlich. Ian wäre am liebsten vor ihr auf die Knie gesunken und hätte um Vergebung gefleht, aber er konnte nicht. Selbst wenn er nicht so viel Angst davor gehabt hätte, ihr etwas anzutun, würde er nicht wissen, wie … wie er ihr geben sollte, was sie brauchte. Was sie von ihm haben wollte. Viel zu lange hatte er sich keine Gefühle gestattet, und jetzt konnte er sich ihr nicht öffnen. Der Teil seines Ich, der ihr Wärme und Zärtlichkeit schenken konnte, war ihm verschlossen. „Da gibt es nichts, weswegen du froh sein solltest, Molly“, fauchte er sie stattdessen an. „Wenn ich in der Lage gewesen wäre, zu einer anderen Frau zu gehen, wäre jetzt vieles leichter.“
„Warum? Weil du bei einer anderen Frau Vertrauen zu dir selbst hast, aber nicht bei mir? Das macht doch überhaupt keinen Sinn, Ian.“
„Weil ich eine andere nicht auf dieselbe Art begehren würde wie dich“, gab er mit zitternder Stimme zu. „Glaub mir, Molly. Das ist ein Riesenunterschied.“
Sie sah sich noch einmal in dem kleinen, spartanisch eingerichteten Wohnzimmer um, ein Sofa und ein Tisch waren die einzigen verbliebenen Möbelstücke. Als sie die zerbrochene Bierflasche bemerkte, schüttelte sie den Kopf. „Und aus welchem Grund bist du jetzt hierhergekommen? Um dich selbst zu opfern?“
„Ich habe nicht vor, mich kampflos geschlagen zu geben. Ich werde tun was ich kann, damit der Dark Marker funktioniert, auch wenn ich noch keine Ahnung habe, was ich damit anfangen soll. Falls das nicht klappt, werde ich das Schwein aufschlitzten und dahin zurückschicken, wo es hergekommen ist.“
„Als ich Shrader erzählte, das Kreuz würde funktionieren, wenn der Casus in seine Nähe kommt, habe ich nicht gedacht, du würdest etwas derart Dämliches tun!“
„Es ist das Einzige, was ich tun kann. Er bringt dauernd Leute um. Du bist in Gefahr. Das muss ein Ende haben.“
„Dann hättest du mein Blut trinken und die Sache schon in Colorado erledigen sollen.“
Seine Kiefermuskeln verkrampften sich. „Du weißt genau, dass ich das nicht tun kann.“
„Nein, Ian. Keiner weiß das. Du bist der Einzige, der das glaubt. Alle anderen haben längst begriffen, was geschehen muss.“
„Ich will, dass du wieder gehst, Molly.“
„Tja, soll ich dir mal was verraten? Ich habe ziemlich schnell gelernt, dass wir nicht immer kriegen können, was wir wollen.“
Molly starrte den Mann an, der sie immer wieder zu einem zitternden emotionalen Wrack machte. Er sah müde aus, ausgezehrt, das zerfurchte Gesicht hart vor Anspannung. Trotzdem war er von solch überwältigender Schönheit, dass ihr der Atem wegblieb. Jetzt wurde sein Äußeres noch durch etwas Geisterhaftes unterstrichen, das es vorher nicht gegeben hatte. Der Blutdurst machte ihn fertig. Sie war so wütend auf ihn, aber sie teilte auch seinen Schmerz.
Sie spürte das salzige Brennen der Tränen auf ihren Wangen und wischte sie schnell weg. Wenn sie nur die Gefühle unter Kontrolle bringen könnte, die sie innerlich zerrissen, aber es war unmöglich. Im Rückblick war es kaum zu glauben, wie heftig sie reagiert hatte, als Kierland ihr mitteilte, dass Ian weg war. Sie hatte hysterisch geschrien, mit Sachen um sich geschmissen und auf ihn eingeprügelt, als er versuchte, sie besänftigend in die Arme zu nehmen.
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