Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Klasse standen, aber der Befehl zur Verwendung des Leisefuchses kam vom Schulleiter höchstpersönlich. Diese Geste sei nicht so negativ und aggressiv wie ein in die Klasse gezischtes «Pscht!». Die Begeisterung unter uns Schülern über diese ganz tolle und positive Neuerfindung hielt sich ebenfalls in Grenzen. Aber Befehl ist Befehl.
Regelmäßig standen nun also Lehrer vor uns und machten den Leisefuchs. Wir wiederum machten uns nicht viel daraus, denn erstens hatte der Leisefuchs keinen Effekt, weil man ihn schlichtweg nicht sah, wenn man den Lehrer nicht gerade zufällig anschaute, und zweitens gehörte Schweigen nicht unbedingt zu unseren Stärken. Gerade im Nachhinein bin ich froh, mich nicht näher mit ihm beschäftigt zu haben – reine Energieverschwendung, denn der Leisefuchs sollte schnell wieder zu den bedrohten Tierarten gehören. Eine schulübergreifende Elterninitiative, die sich auf Bestreben einiger türkischer Eltern bildete, hatte in einem offenen Brief an alle Schuldirektoren und Lehrkräfte darum gebeten, das Zeichen zu unterlassen und somit die Jagdsaison für das arme Füchschen eingeläutet. Das unglückliche Ding wurde in Sippenhaft genommen: Ein entfernter Verwandter in der Türkei war quasi das schwarze Schaf in der Familie der Handzeichen. Ein Schaf im Wolfspelz, um genauer zu sein. Denn den Leisefuchs konnte man auch als Wolf deuten und diese Handgeste war das Erkennungszeichen einer türkischen, rechtsextremen Partei, die in ihrem Parteiprogramm so ziemlich gegen alle Volksgruppen dieser Welt zum Kampf aufrief, die nicht ihren Vorstellungen entsprachen. Und so war es verständlich, dass türkische Eltern, deren Kinder vom Leisefuchs erzählten, gegen diese Geste mobil machten. Ein Junge aus der Parallelklasse hatte sogar regelmäßig fluchtartig den Klassenraum verlassen, sobald ein Lehrer den Leisefuchs gemacht hatte. Er war Kurde und damit Teil der Volksgruppe, die die angesprochenen türkischen Rechtsextremen als ihre Todfeinde ansahen.
Der offene Brief löste eine hitzig geführte Debatte unter weiten Teilen der Elternschaft aus: Ob man denn eine Geste hier in Deutschland nicht benutzen dürfe, nur weil sie irgendwo auf der Welt eine andere Bedeutung hätte, fragten sich die einen. Ob die Kinder nicht durch die Geste unbewusst indoktriniert und gegenüber dem Rechtsextremismus unkritisch gemacht würden, fragten sich andere. Die Positionierung in dieser Debatte hatte übrigens wenig mit der Nationalität der beteiligten Eltern zu tun. Da warf ein Portugiese einem Deutschen Gleichgültigkeit vor, ein Deutscher wiederum nannte einen Türken empfindlich und schlecht integriert, während ein Araber einen Spanier als «Vollhorst» beschimpfte. Am Ende warfen sich beide Seiten gegenseitig Faschismus und Intoleranz vor.
Es lebe die Diskussionskultur, wenn sie konstruktive Ergebnisse hervorbringt! Unsere Lehrer wären begeistert gewesen, hätten sie eine solche Debattierlust einmal bei den Schülern im Unterricht verzeichnen können. Dort hätten sie aber selbstverständlich kraft ihrer pädagogischen Fähigkeiten darauf geachtet, dass die Streitgespräche nicht derartig aus dem Ruder gelaufen wären, wie es bei den Eltern passiert war.
Schließlich blieb der Leidtragende der Leisefuchs, der schon bald nicht mehr in freier Wildbahn gesichtet wurde. Das arme Tier, es konnte ja nichts dafür. Seine Verwandten kann man sich nun mal nicht aussuchen.
Doch dieser Fuchs sollte nicht das letzte Tier meiner Schullaufbahn sein. Woher kommt nur diese Lust an allem Animalischen in der Pädagogik? In gefühlt jedem Schulbuch, das nach dem Mauerfall gedruckt worden ist, sind irgendwelche lustigen, kleinen, bunten Tierchen abgebildet, die den Lernstoff auflockern sollen. Schön und gut, dass man zumindest in manchen Fächern die staubtrockenen, schwarzweiß und engbedruckten Lehrbücher aus der Zeit Napoleons abgeschafft hat, aber muss jetzt an jeder Aufgabe so ein psychopathisches «Ich mach dir das Lernen leichter und führe dich durch dieses Buch»-Tier hocken?!
Ich möchte, wenn ich mein Mathebuch aufschlage, einfach nicht von
Rudi, dem Rechenfuchs
, oder
Manni, dem Mathemonster
, belästigt werden! Wenn ich ein Mathemonster sehen wollte, dann habe ich zu der Person geschaut, die vorne am Lehrerpult stand.
Schlimm genug, dass diese Viecher in unseren Büchern auftauchen, aber sie begegnen einem auch in zahlreichen Hörverstehensübungen. Denn zu jedem Lehrbuch gibt es mittlerweile eine tolle
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