Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
worden. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder dahergelaufene Schüler es anzweifeln würde, war es doch in jahrelanger Vorbereitungsarbeit durch zweiunddreißig buddhistische Mönche in einem tibetanischen Kloster ohne Kontakt zur Außenwelt entwickelt, vom Bildungsministerium mit dem Prädikat «wertvoll» versehen und anschließend von einem hellsehenden Kraken namens Paul noch vor seinem internationalen Durchbruch bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 auf mögliche Fehler hin geprüft worden. Dieses Konzept war wasserdicht, komplett recycelbar und hatte ein Ökosiegel.
Der Lerntypentest begann. Nacheinander wurden jeweils zehn unterschiedliche Begriffe mal zum Lesen auf Schildern hochgehalten, mal als Zeichnungen gezeigt, mal nur vorgelesen, und zu guter Letzt mussten sie von uns aufgeschrieben werden. Danach wurden zur Verwirrung Kopfrechenaufgaben gestellt und schließlich geprüft, welche Begriffe man noch erinnerte.
Das erste offensichtliche Problem in der Umsetzung wurde schnell klar: Wie sollten wir einen Begriff schreiben, ohne ihn vorher zu hören, zu lesen oder zu sehen? Schließlich sollte nur das Schreiben Einfluss auf unsere Merkfähigkeit haben. Frau Finke nahm diese Schwierigkeit anscheinend zum ersten Mal wahr und beschloss, dass wir die Begriffe einfach lesen und dann aufschreiben sollten. Das wäre dann ja quasi wie nur schreiben. Der Effekt war vorprogrammiert: Das doppelte Bearbeiten der Begriffe durch ebenjenes Lesen und dann Schreiben führte zu durchgehend guten Ergebnissen im Bereich Schreiben. Schreiben ohne Lesen, Sehen oder Hören geht eben nicht. Da hatte der Krake Paul wohl etwas übersehen. Man sollte ihm aber daraus keinen Vorwurf machen, er selbst konnte ja gar nicht schreiben.
Beim Hören setzte sich der Mangel in der Durchführung erst recht fort, denn Frau Finke las bei dem Wort «Scheibenwischer» fälschlicherweise «Weibenstricher», sodass wir alle darüber lachen und sie den Begriff wiederholen musste. Kein Wunder also, wenn am Ende fast alle dieses Wort noch wussten.
Sowieso hatten viele Lehrer in Prüfungssituationen Probleme, die richtige Antwort für sich zu behalten. Stellte man zum Beispiel in einer Klassenarbeit eine Frage, die der Lehrer nicht beantworten konnte, ohne die Lösung zu verraten, so versuchte er häufig, dem Schüler durch Andeutungen weiterzuhelfen und verriet dabei – huch! – schließlich doch die korrekte Lösung. Das ist natürlich nett von dem Lehrer, zumindest für den einen Schüler, dem er die Frage beantwortete. Die anderen hatten das Nachsehen und konnten sich zu Recht über diese Ungerechtigkeit beschweren.
Beim Lerntypentest waren Beschwerdeunterbrechungen aus Konzentrationsgründen aber nicht zugelassen. Als uns für den Bereich «Sehen» Bilder von verschiedenen Dingen gezeigt wurden, hatte ich meine persönliche Sternstunde. Ich saß damals in der letzten Reihe und hatte mir als ein Bild «Rakete» gemerkt. Als die Ergebnisse verglichen wurden, sagte ich ebendieses Wort und erntete Gelächter. Auf dem Bild war ein Staubsauger zu sehen … Ich hätte aber schwören können, dass es eine Rakete gewesen war. Vielleicht hätte ich besser zum Augenarzt gehen als an diesem Workshop teilnehmen sollen. Allein durch die Lektüre des Wissensmagazins im Wartezimmer dieses Arztes hätte ich mehr gelernt, als beim «Lernen lernen».
Am Ende des Tests konnte man anhand der Anzahl der jeweils erinnerten Begriffe sehen, in welchem Bereich man seine Stärken hatte – wenn man denn mitgemacht hatte. Fabio hatte sich statt mit Begriffemerken allerdings die ganze Zeit mit Ramira beschäftigt und ihr kleine Zettelchen geschrieben, die diese nach kurzem Lesen beantwortet zurückgereicht hatte. Die beiden wussten in der Folge bei allen vier Lerntypen keinen einzigen Begriff mehr, noch nicht mal mehr den Scheibenwischer. Frau Finke schimpfte kurz, gab dann allerdings auf, wahrscheinlich, weil das Lehrerhandbuch zum Workshop ihr auf ganz buddhistische Weise verbot, sich aufzuregen.
Und es gab ja auch positive Überraschungen: Daniela – die sonst nicht durch überragende Genialität im Unterricht auffiel – hatte in allen Bereichen alle zehn Begriffe gewusst. Das löste nicht nur großes Staunen, sondern auch den Vorwurf, sie hätte geschummelt, aus. Doch Daniela konnte sich und ihre Merkfähigkeiten erklären: «Ich hab vorgestern ’ne Sendung mit Günther Jauch gesehen, da haben die so ein Merkspiel gemacht und erklärt, wie man sich Sachen
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