Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
starren Kulleraugen traurig an, als wollte sie sagen: «Es ist okay. Ich starb für eine gute Sache.» Ich wollte der Forelle einen Namen geben und sie taufen, doch da wurde mir klar, dass ich ja gar nicht wusste, ob Forellen katholisch oder evangelisch waren. Oder vielleicht sogar etwas ganz anderes. Außerdem war sie ja schon tot, und da macht taufen wenig Sinn. Ob die anderen wohl auch so ein komisches Gefühl hatten? Anscheinend nicht. Orhan hatte seine Forelle an der Schwanzflosse in die Hand genommen und ließ sie hin und her baumeln, bis sie ihm entglitt und unter großem Gelächter der Jungen und lautem Gekreische der Mädchen auf dem Boden aufschlug. Herr Merovic ermahnte ihn und forderte mehr Respekt vor den Toten. Ich überlegte, ihn zu fragen, ob es respektvoller sei, Fische aufzuschneiden, kam aber zu dem Schluss, dass das unklug gewesen wäre. Damit hätte ich ja Herrn Merovics Unterricht in Frage gestellt, was man besser unterließ. Merke: Das Zweifeln an der Vorgehensweise des Lehrers gehört nicht zu den brillantesten Schachzügen im Leben eines Schülers.
Als alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig auf Anweisung des Lehrers die Fische fachgerecht zerlegen sollten, schnitt Fabio etwas unwirsch in seinen Fisch hinein, und eine braune Masse quoll daraus hervor, was ihn zu der Bemerkung «Mein Fisch kackt» verleitete. Kurz darauf rief Thomas in die Klasse: «Herr Merovic, hier ist so ein komischer Luftballon. Was sollen wir damit …» Er konnte seinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn in diesem Moment hatte Fabio den «Luftballon» schon mit seinem Messer zerstochen. Herr Merovic erklärte, dass dies die Schwimmblase gewesen sei und schmiss Fabio aufgrund von anhaltender Randale an fremden Fischkörpern aus der Klasse. Ich folgte ihm sofort. Nicht, weil auch ich in anderer Leute Fische herumgestochert hatte, sondern weil ich nicht vor aller Augen umkippen wollte. Irgendwie wünschte ich mir in diesem Augenblick die Mehlwürmer zurück und hoffte insgeheim, Skelett Oskar würde hereinmarschieren und dem Sezieren von Tieren im Unterricht ein Ende bereiten.
Herr Merovic war indes der festen Überzeugung, es wäre gut für uns völlig entnaturalisierte Blagen, mal einen Fisch aufzuschneiden. Er hätte es aber wahrscheinlich auch gut gefunden, wenn wir auf Knien und nur mit einem Lendenschurz bekleidet den Himalaya hätten überqueren müssen, solange dies in einem Schulkontext passiert wäre. Dieser Kontext heiligt jedes Mittel.
Will ein Lehrer irgendeine idiotische Aktion im Unterricht durchziehen und zwingt die Schüler, das dafür notwendige Material zu kaufen, kann man ziemlich sicher sein, dass einen der Verkäufer im Laden mit einer Mischung aus Angst und Skepsis fragt: «Wozu brauchst du denn diese komischen Dinge?» – «Für die Schule.» Damit ist alles geklärt. Dem Verkäufer ist schließlich auch klar: In der Schule macht man nicht immer nur Sinnvolles.
Zu diesen unsinnigen Sachen gehört für mich übrigens auch das Aufzwingen einer bestimmten Lernweise, beispielsweise das Führen eines Vokabelhefts anstelle von Karteikarten, oder der Versuch einem Schüler, der eine Matheaufgabe nicht versteht, diese mit völlig aus der Luft gegriffenen Beispielen zu erklären. Eine Aufgabenstellung, die da lautet: «Ein Auto fährt auf der A 1 zwei Stunden lang mit 140 km/h. Wie weit fährt es in zwei Stunden?», muss schon daran scheitern, dass auf ebendieser Autobahn alle zwanzig Kilometer eine Baustelle mit Geschwindigkeitsbegrenzung ist. Die korrekte Antwort auf die Frage würde also lauten: « 93 km, 8 Strafzettel wegen zu schnellem Fahren und unendlich viele Punkte in Flensburg.»
Gut, es hat ja auch nie jemand behauptet, dass die Schule mit dem realen Leben etwas zu tun hat. Ich habe jedenfalls noch nie einen Mensch am Ende seines Lebens auf dem Sterbebett sagen hören: «Damals, in der Schule, da habe ich die wichtigste Tat meines Lebens vollbracht: Ich habe einen Fisch seziert. Überhaupt bin ich meinem Biolehrer zu großem Dank verpflichtet: Er hat mich mit seinen fiesen Schockerfilmen auf die grausame Realität der Welt vorbereitet.»
Aber auch wenn man die Kunst, mit den Aufgaben der Lehrer fertigzuwerden, im weiteren Lebenslauf nicht direkt anbringen kann, braucht man sie umso dringender wofür? Genau. Für die Schule.
Kunst ist, wenn man trotzdem malt
Glücklicherweise darf man in der Oberstufe, wenn die Noten für das Abitur wichtig werden, seine Fächer bis zu einem
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