Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
geschafft, ihn wieder korrekt zusammenzubauen, sodass der Brustbereich merkwürdig verzogen war. Ich glaube, die Reihenfolge der Rippen war irgendwann einmal vertauscht und Oskars linke Hand war an den rechten Arm geschraubt worden. So deformiert, wie er da stand, war er wahrscheinlich das Gespött unter den Anschauungsfiguren der Biologiesammlung.
Spannend wurde der Biologieunterricht erst, als Herr Merovic beim Unterrichtsthema «Insekten» auch mal Praxisarbeit anbieten wollte; wahrscheinlich hatte er in irgendeiner Lehrerzeitung von dieser modernen Form des Biounterrichts gelesen. Wir sollten Mehlwürmer züchten. Also verbrachten wir mehrere Wochen damit, genau jenen Tieren das Paradies auf Erden zu schaffen, die man normalerweise auf gar keinen Fall bei sich zu Hause antreffen möchte. Sie gediehen prächtig; es wurden immer mehr, und sie wurden immer größer – und irgendwann standen wir vor dem Problem, was wir mit den ganzen Tieren machen sollten. Überraschenderweise wollte niemand die putzigen, kleinen Würmchen mit nach Hause nehmen. Aber auch dafür hatte Herr Merovic eine Lösung parat: Eine andere Klasse hatte eine seltene australische Spinne gezüchtet, die in einem Terrarium in der Biologiesammlung saß und der die Würmer zum Fraß vorgeworfen werden sollten. Der Plan wurde also in die Tat umgesetzt und einzelne Mehlwürmer in das Terrarium geschmissen. Die Spinne machte sich sofort mit einer bestialischen Brutalität über die kleinen Dinger her und hatte sie in kürzester Zeit in Stücke gehackt und ausgesaugt. Eigentlich hätte man ein Schild an das Terrarium hängen müssen mit der Aufschrift: «Für Kinder unter 18 Jahren nicht geeignet.» Doch Herr Merovic war ganz in seinem Element. Eifrig warf er Mehlwurm um Mehlwurm in das Becken und quietschte jedes Mal vor Vergnügen, wenn die Spinne wieder zuschlug. Fröhlich und mit einem Enthusiasmus, der einem Dr. Frankenstein alle Ehre gemacht hätte, murmelte er die lateinischen Bezeichnungen der einzelnen am Fressvorgang beteiligten Körperteile der Spinne vor sich hin. Auf uns, die wir noch kein Latein konnten, wirkte das Ganze wie unheimliche Zaubersprüche. Als Lehrer ist man eben auch Entertainer, und ein bisschen Verrücktheit, die Herrn Merovic definitiv innewohnte, schadet diesem Berufsbild nicht.
Als die Spinne nicht mehr mit der Menge der Mehlwürmer fertigwurde, schnappte sich Herr Merovic den Behälter mit den restlichen Würmern, trug ihn zum Schulteich und kippte den gesamten Inhalt dort hinein.
«Grausam!» oder «Tiermörder!» werden jetzt einige schreien, denn selbstverständlich hatten wir den Mehlwürmern keine Badehosen und Schwimmflügelchen mitgegeben, sodass sie ertrinken mussten. Aber unser Biolehrer hatte natürlich ausschließlich unsere Weiterbildung im Sinn: Er wollte mit den Würmern die im Teich vorhandenen Fische füttern und während er das tat, gab er sich alle fachliche Mühe, uns über die Reihenfolge der Nahrungskette in Kenntnis zu setzen. Dies war zwar völlig überflüssig, denn wir sahen ja, dass die Fische die Mehlwürmer fraßen, aber Herr Merovic war nun mal Lehrer, und als solcher hatte er einen Bildungsauftrag. Die Fische feierten ein Fest, und die Mehlwürmer ihre Seebestattung.
Damit war unsere praktische Arbeit im Biounterricht aber noch lange nicht vorbei. Der Höhepunkt sollte noch folgen: Wir sezierten Fische. Natürlich nicht die aus dem Schulteich, sondern eigens dafür angelieferte Forellen, die ausschließlich eines natürlichen Todes nach einem Leben als freischwimmende Wassertiere in ökologischen Paradiesen gestorben waren. Unsere Schule wollte sich ja nicht des Tiermords und der Umweltschändung schuldig machen, aber Fische aufzuschneiden stand nun mal auf dem Lehrplan. Ich vermute ja, dass dieser Lehrplan von Metzgern erstellt worden ist, die Spaß daran haben, Kinder zu quälen. Das jahrelange Verschenken von Wurstscheiben an der Fleischtheke ist nur Fassade, um vom eigentlichen Ziel der Metzgerlobby abzulenken: Jedes Mal, wenn die Lehrpläne erstellt werden, stehen die Schlachtervertreter bei den zuständigen Beamten vor dem Büro und bitten höflichst mit gezücktem Fleischermesser um die Aufnahme von Sezierungen in das Schulprogramm. Einfach nur, damit die Kinder «mal sehen, wie das ist».
Die Forellen wurden also verteilt, und jeder stand mit einem Messerchen bewaffnet im weißen Kittel vor seinem Fisch. Da lag sie nun vor mir, die Forelle. Sie schaute mich aus ihren
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