Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
Bibliothek komplett überfordert gewesen wären. In der Vorstellung der Lehrer wären viele Schüler vermutlich schon am Eingang völlig verwirrt stehen geblieben, weil sie noch nie so viel Papier auf einmal in so vielen Regalen gesehen hatten. Die alphabetische Sortierung nach Autorennamen wäre zur unlösbaren Falle geworden, da sich bei einem schulischen Arbeitsauftrag nie jemand die genaue Formulierung der Aufgabe notierte und somit keiner den genauen Namen des Autors gewusst hätte.
So, wie unsere Lehrer sich das ausmalten, hätten wir wohl da gestanden und verzweifelt vor uns hin gestammelt: «Irgendwas mir ‹G›. Gröte oder so was. Vielleicht auch Göthä oder so ähnlich. Das Buch heißt ‹Hand›, nee ‹Faust›. Ach, was weiß ich denn. Wo ist denn hier die Google-Suchzeile?»
Vielleicht hatten die Lehrer auch Angst, dass wir zu einer Bibliothekarin gegangen wären, ihr einen Zettel mit der Aufschrift «Göthä» hingehalten und uns dann lautstark über die mangelnde User-Freundlichkeit beschwert hätten, wenn die Dame nicht wie Google nachgefragt hätte: «Meinten Sie Goethe?»
Jedenfalls wollte keiner unserer Lehrer riskieren, uns nach einer Stunde aus den Regalreihen ziehen und mit Kreislaufspritzen wieder in Form bringen zu müssen, während ein Kamerateam von RTL eine völlig ausgelaugte und hysterische Schülerin befragt hätte, die mit fassungslosem Gesichtsausdruck in das Mikrophon stotterte: «Ich weiß gar nicht mehr, was los war. Es ging alles so schnell. Ich hab einfach keinen Bildschirm gefunden. Irgendwann stand ich nur noch mit zwei Freundinnen da, und wir haben Steuerung-Alt-Entfernen gerufen, aber es ist nichts passiert. Totaler Absturz! Wir hätten niemals gedacht, dass so etwas hier passieren könnte. Woanders, ja. Das hat man ja schon mal im Fernsehen gesehen, aber doch nicht hier bei uns. Es war doch alles immer so normal und friedlich!» Der Reporter hätte daraufhin mit betroffenem Blick in die Kamera geschaut und gesagt, welche «dramatischen Szenen sich hier abgespielt» und «die Kinder gerade eben nochmal Glück gehabt» hätten. Dann hätte er zurück ins Studio gegeben, wo anschließend ein Bericht über neumodische Dackelfrisuren dem Drama den passenden Rahmen gegeben hätte.
Ohne Internet, so die herrschende Meinung unter Lehrern, ist die heutige Schülerschaft aufgeschmissen. Lehrern ist klar: Das logische Denken von Schülern hört da auf, wo das der Lehrer beginnt.
Zum Glück gibt es aber ja das Internet, und so sind es wohl eher die Lehrer, die vor einem Computer sitzend verzweifeln, weswegen sie uns Schülern die Recherchearbeiten gerne überlassen.
War die Internetverbindung bei uns in der Schule mal gestört, beschloss die Schülerschaft, dass eine Recherche nun ja nicht möglich wäre, und kehrte in die Klasse zurück. Wenn der Lehrer dann im Stoff weiter vorangehen wollte, wurde er mit Einwänden wie «Nee, ohne die Recherche wäre das doch jetzt auch echt voll sinnlos. Ehrlich jetzt» davon abgebracht. Jene Lehrer, die trotzdem versuchten, im Unterricht vorwärtszukommen, mussten bald merken, dass auch der beste Lehrer der Welt – und als solcher fühlt sich wohl jeder Lehrer – es nicht schafft, eine Klasse, die im «Recherche»-Modus ist, wieder zum Arbeiten zu bewegen.
Funktionierte das Internet und waren alle Recherchen abgeschlossen, kehrten wir Schüler mindestens fünf bis zehn Minuten nach Ende des Zeitlimits wieder in den Klassenraum zurück. Komischerweise hat sich nie ein Lehrer darüber gewundert, einige Schüler mit Kaffee in Plastikbechern und belegten Brötchen und Süßigkeiten in den Händen zu sehen. Aber die geballte Berufserfahrung als Lehrer hatte sie wahrscheinlich gelehrt, wie sinnlos ein Zur-Rede-Stellen war – oder die Lehrer fühlten sich ertappt, weil auch sie in der Zwischenzeit mal eben kurz in der Einkaufspassage nebenan ihr zweites Frühstück eingenommen hatten. Das musste ja keiner mitkriegen.
Der Unterschied zwischen Lehrern und Schülern besteht eben manchmal nur in der Tatsache, auf welcher Seite vom Lehrerpult man steht.
Der Weg ist das Ziel
An einem Wochenende trafen Orhan, Fabio, Thomas und ich uns bei Fabio zu Hause, was den ungeheuren Vorteil hatte, dass Fabios Mutter sich verpflichtet fühlte, uns fürstlich mit Speisen aus ihrem Heimatland zu versorgen. Wir saßen also in Fabios Zimmer, Thomas und Fabio spielten auf der Playstation ein Fußballspiel gegeneinander, und Orhan und ich schauten zu. Fabio
Weitere Kostenlose Bücher