Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
hatte durch ausdauerndes Üben einen neuen Hackentrick beim Playstation-Fußball gelernt und zog Thomas daher hoffnungslos ab. Dieser konnte dem nichts entgegensetzen und fiel immer wieder auf den gleichen Trick herein. Triumphierend urteilte Fabio: «Du musst mit Taktik spielen. Du spielst immer nur so drauflos, völlig ohne Methode.»
«Ey, sag nicht mehr Methode. Kann isch nicht mehr hören, das Wort, Alter!», rief Orhan.
Verwundert sahen wir uns zu ihm um, und Thomas nutzte den Moment der Verwirrung, um den 1 : 5 -Anschlusstreffer zu erzielen. Orhan erklärte: «Alle Lehrer machen immer nur methodischen Unterricht. Nix mehr einfach so, der Lehrer steht vorne und redet, und die Schüler hören zu und schreiben von der Tafel ab. Immer nur Methode, isch schwör. Immer nur Teamarbeit, Brainstorming und so was. Ein bisschen Abwechslung is ja okay, aber doch nicht immer nur so ’n Scheiß.»
Wir konnten Orhan sehr gut verstehen. Irgendwann hatte ein Ministerium wahrscheinlich mal herausgefunden, wie schlecht Frontalunterricht ist und die Vorgabe gemacht, in Zukunft bitte nur noch in verschiedensten Unterrichtsmethoden zu lehren.
Das führte dazu, dass wir irgendwann nur noch in Gruppen arbeiteten, jede zweite Stunde irgendwelche Thesenpapiere erstellten und diese dann per E-Mail-Verteiler an alle anderen Klassenmitglieder schickten. In der Folge beherrschte man zwar sein eigenes Thema gut, die anderen Themen aber noch nicht mal ansatzweise. Wichtiger noch: Es nervte! Nie hatten wir mal ganz normalen Unterricht, in dem wir z.B. einfach ein paar Vokabeln von der Tafel abschreiben mussten.
Lehrer glauben immer, sie würden mit ihren Methoden etwas total Ausgefallenes machen und können Schüler damit mehr vom Unterricht begeistern. In Wirklichkeit machen sie genau das, was ihre Kollegen auch tun, und so müssen wir Schüler jede Stunde wieder irgendeine ganz besonders neue und tolle Methode über uns ergehen lassen.
Dass Orhan sich jetzt darüber aufregte, konnte ich nachvollziehen. Aber er war noch nicht fertig: «Und jetzt reicht es auch nicht mehr, dass wir Teamarbeit machen. Jetzt machen wir in Philosophie so ’n Scheiß wie Thinktank oder Fishbowl, voll krank, ehrlich!»
«Also Thinktank kenn ich auch, aber was bitte ist ein Fishbowl?», fragte ich nach, denn wir saßen im Religionsunterricht, während Orhan als Ersatz Philosophie hatte.
«Fishbowl ist so ’ne dumme Methode, wo die Klasse in zwei Gruppen geteilt wird. Die eine Hälfte informiert sich dann über ein Thema und die andere über ein anderes, dann bildet man einen Stuhlkreis in der Mitte des Raumes, wo die Stühle nach außen zeigen, und jedem Stuhl gegenüber stellt man außen einen weiteren Stuhl hin.»
«Das klingt ja nach sehr viel Aufbauarbeit», warf Thomas ein. «Ist doch gut, dann verschwendet ihr ein bisschen Unterrichtszeit.»
Orhan war nicht ganz so begeistert: «Aber dann setzt sich die eine Gruppe auf den inneren Stuhlkreis und die andere auf den äußeren, und dann erzählt man sich gegenseitig das, was man recherchiert hat. Nach kurzer Zeit rutschen dann alle auf dem äußeren Ring einen Stuhl weiter, und dann muss man den gleichen Scheiß nochmal erzählen. Voll sinnlos.»
Orhan unterbrach seinen Redefluss, weil Thomas und ich das Gesicht verzogen, als hätte uns ein Stromschlag getroffen. «Was ist?», wollte Orhan wissen. «Ey, was habt ihr? Verarscht mich nicht, Alter! Was ist los?»
Thomas klärte ihn auf: «Du wärst soeben von unserem Religionslehrer erschossen worden, wenn du das zu ihm gesagt hättest.»
«Häh??»
«Weil du ‹erzählen› gesagt hast. Das ist bei uns absolut verboten. Man erzählt in der Schule nicht, man berichtet oder referiert. Erzählen tut man nur Märchen. Das ist dem Typen gaaanz wichtig.»
Ja, so schlimm ist es manchmal. Eigentlich kenne ich keinen Lehrer, der nicht die Macke hat, bestimmte Worte zu verdammen. Hat man einmal herausgefunden, welche das sind, so ist man als Schüler gut beraten, diese nicht im Unterricht zu verwenden.
Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn bei uns ein Referent in seinem Vortrag «erzählen» verwendet hätte. Dann hätten wir anderen vielleicht am Ende eines Referats den Vortragenden gefragt, wo denn der große böse Wolf und das Rotkäppchen in dem Vortragsmärchen gewesen seien und ob die im Vortrag erwähnte Person nicht vielleicht ein verwunschener Königssohn sei.
Orhan war von dieser Lehrereigenart jedenfalls beeindruckt: «Krass! So ein
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