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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte Pieper
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Vollpfosten.»
    Der Vollpfosten war aber nun mal unser Lehrer, und der war noch lange nicht am Ende seiner Methoden angekommen. Seine Lieblingsvorgehensweise wechselte allerdings immer wieder. Mal pinnte er bunte Papptäfelchen an die Wand und meinte, das würde dem Gehirn in Sachen Merkfähigkeit entgegenkommen, mal ließ er uns in einem Rollenspiel den Unterrichtsstoff erarbeiten.
    Letzteres setzte auch unser Klassenlehrer Herr Löchel gerne ein. Meist dann, wenn er uns aus Gründen des Lehrermangels vertretungsweise auch in Geschichte übernahm. Die von ihm initiierten Rollenspiele waren besonders qualvoll.
    Einmal bekamen Orhan, Thomas, Ramira und ein paar andere den Auftrag, ein Rollenspiel über die Französische Revolution zu entwickeln. Die Vorführung wurde zum Spektakel. Orhan begann: «Ich, ein armer Handwerker, werde mich der Revolution anschließen. Gar große Heldentaten werden meiner gewahr werden. Auf in neue Gestade!» Kichern erfüllte die Klasse. Orhan fühlte sich dadurch bestätigt und fuhr fort: «Schließet euch uns an. O Bauern. Wir werden siegreich triumphieren!»
    Und Thomas antwortete: «Der Sieg ist unser. Der König ist gestürzt!» Ramira verdrehte die Augen: «Nein, Thomas. Erst müssen wir die Bastille stürmen und Paris einnehmen, dann erst darfst du den König stürzen.»
    Thomas korrigierte sich: «Ach, ja richtig. Wir schließen uns euch an.»
    Und Orhan machte weiter: «Auf zur Bastille. Noch heute werden wir den König verjagen!»
    «Es lebe die Republik!», schrie Thomas inbrünstig. «Welche Republik?», unterbrach Herr Löchel. «So weit seid ihr doch noch gar nicht. Oder habt ihr da was falsch verstanden?» Nein, hatten sie nicht. Nur Thomas war wieder mal etwas vorschnell.
    So ging es dann das ganze Rollenspiel weiter, und wir lernten – nichts. Außer vielleicht, dass die Französische Revolution wohl gescheitert wäre, hätte Thomas damals daran teilgenommen.
    Dessen ungeachtet erfreute sich Herr Löchel immer wieder aufs neue an den von ihm ausgedachten Rollenspielen. Das weckte bei ihm wohl das Kind im Mann.
    Von der besten Methode, die ein Lehrer wohl jemals angewandt hatte, wusste aber wieder Orhan aus seinem Philosophiekurs zu berichten: TZI , die Themenzentrierte Interaktion. Ein toller Name. Und interessante Namen sind in unserem Bildungssystem wichtig. Die PISA -Studie hätte als Castrop-Rauxel-Studie vielleicht überhaupt keine Beachtung gefunden. Und TZI klang wahrlich vielversprechend. Das konnte nur eine ganz großartige Methode sein. Offensichtlich ging es bei dieser Methode um ein Thema. Das war ja ganz was Neues! Und dieses Thema stand im Mittelpunkt des Unterrichts, denn dieser war themenzentriert! Dazu kam dann noch die Interaktion, also der Austausch.
    In solchen Momenten überkam uns große Dankbarkeit. Dankbarkeit, Teil eines solchen Schulsystems sein zu dürfen. Eines Schulsystems, in dem man im Unterricht gemeinsam über ein bestimmtes Thema redet. Wir schwiegen eine Weile andächtig.
    Bis Orhan wieder das Wort ergriff und uns erklärte, bei TZI handle es sich eher um ein Treffen einer psychiatrischen Selbsthilfegruppe als um Unterricht. Er erzählte: «Am Anfang setzen sich alle in einen Stuhlkreis. Der wird Blitzlicht genannt.» (Merke: Der Stuhlkreis ist eine elementare Form der pädagogischen Unterrichtsgestaltung, auch weit über die Grundschule hinaus.) «Und dann sagt jeder der Reihe nach, wie es ihm geht und was er von der Stunde erwartet. Zwei oder drei Leuten fällt dann auch was Gutes ein, und danach sagen alle nur noch so’n Kram wie: ‹Es geht mir gut, aber ich bin noch etwas müde. Es ist ja die erste Stunde.› Oder: ‹Das Wetter ist auch nicht so toll. Mir ist kalt.› Oder: ‹Von der Stunde erwarte ich, dass wir vielleicht was lernen und dass es nicht langweilig ist.› Und das wiederholen dann die restlichen fünfundzwanzig Schüler.» Eine Hoffnung war damit wohl schon mal nicht erfüllt worden: Dass es nicht langweilig werden würde …
    Anschließend wurde in Gruppen – wen wundert es – ein Thema erarbeitet. «Und zwischendurch immer diese Blitzscheiße!», fluchte Orhan. «Immer wieder mussten wir sagen, wie es uns geht, das geht die doch nix an. Blitzlicht! Und am Ende der Stunde das Gleiche nochmal wie am Anfang.» «Quasi ein Abschlussgewitter», schlug Thomas vor und fügte mit verklärter Stimme hinzu: «Jaaa, mir geht es immer noch gut. Das Wetter ist immer noch schlecht, und ich fand den Unterricht eigentlich

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