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Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause

Titel: Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte Pieper
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noch gegen viele Bedenken auf Seiten der Bevölkerung und der Behörden durchsetzen.
    Unsere Lehrmaterialien waren nicht nur absolut veraltet, oft war auch der Zustand des Gebäudes und der Räume miserabel. Hier fehlten ein paar Schrauben in einem Stuhl, da konnte man die Tafel nicht mehr aufklappen, und jedes einzelne unserer Handys hatte eine höhere Rechenleistung als sämtliche Computer unserer Schule zusammen. Diese Teile waren so langsam, dass wir oft eine komplette Unterrichtsstunde brauchten, um sie hochzufahren. Gerne stürzten sie auch mitten in der Arbeit ab und waren danach nie wieder zu gebrauchen.
    Eine weitere Überraschung erlebten wir, als Herr Löchel mit uns die Landkarten aus dem Kartenlager der Erdkundesammlung sortieren wollte.
    Wer sich jetzt wundert: Ab und zu, wenn am Ende eines Schuljahres noch Zeit ist, werden Schulklassen schon mal dazu eingesetzt, irgendwelche Dinge in Ordnung zu bringen, Karteikarten zu sortieren, Blumen umzupflanzen oder eben Landkarten neu zu ordnen.
    Wir sollten alle Karten aus dem Lager in den Innenhof bringen, dort ausrollen, nachsehen, um welche Karte es sich handelte, sie wieder einrollen und von außen beschriften. Dann brachten wir Herrn Löchel die Karten wieder zurück, und er stellte sie nach Weltregionen geordnet in den Lagerraum. Offensichtlich war man all die Jahre zuvor ohne eine Beschriftung ausgekommen. Man sollte meinen, dass eine Karte ohne Bezeichnung eigentlich total unpraktisch ist, weil man sie dann jedes Mal vor der Benutzung aufrollen muss, aber wahrscheinlich hat jeder Lehrer gedacht: «Och, das machen meine Kollegen bestimmt irgendwann mal.» Und so blieb es letztlich an uns Schülern hängen.
    Zunächst verlief alles ohne Zwischenfälle, und bald sammelten sich Karten mit den Aufschriften «Weltkarte» oder «Süddeutschland, topographisch» im Lager. Als Thomas aber mit einer Karte, auf der «Deutsche Kolonien» stand, ankam, wurde Herr Löchel misstrauisch. Er fragte ihn, ob er ihn verarschen wolle und was das solle, die Karten mit solchen unsinnigen und falschen Beschriftungen zu versauen. Thomas beteuerte aber seine Unschuld und meinte, er hätte nur hingeschrieben, was auf der Karte zu sehen war. Herr Löchel öffnete die Karte, und tatsächlich war dort eine Weltkarte abgebildet, auf der die Stellen in Afrika und Asien markiert waren, wo das kaiserliche Deutschland um 1900 herum seine Kolonien hatte. Herstellungsdatum der Karte: 10 . August 1901 . Lizenz: Verlag der Krone des Deutschen Kaiserreiches und des Königreichs Preußen.
    Jetzt wird der ein oder andere sagen: «Na und? Die Karten kann man doch im Geschichtsunterricht noch wunderbar benutzen. Außerdem sind die historisch wertvoll.»
    Das mag stimmen. Das Problem bestand aber darin, dass wir teilweise keine aktuelleren Karten hatten. Eine andere Weltkarte war vorhanden, deswegen war dieses uralte Stück so lange unentdeckt geblieben. Aber es gab z.B. keine einzige Europakarte, auf der die DDR , die Sowjetunion und Jugoslawien nicht in den alten Grenzen zu sehen waren.
    Den Kartenmangel erfuhr ein Referendar schmerzlich am eigenen Leib: Er hatte unsere Klasse für ein paar Wochen übernommen und sollte bei uns seine Lehrprobe abhalten, die benotet wurde. Es war offensichtlich, dass Herr Löchel den Referendar nicht leiden konnte, und deswegen half er dem jungen Mann wenig und nur widerwillig.
    Als es auf die Lehrprobe zuging, traute sich der Referendar schon gar nicht mehr, Herrn Löchel um Hilfe zu bitten, und so nahm er sich einfach eine Karte aus dem Lager, auf der die Beschriftung «Deutschland» zu lesen war. Diese hing er zu Beginn der Lehrprobe auf den Kartenständer, entrollte sie aber noch nicht. Und das war sein großer Fehler.
    Während der Stunde, die eigentlich ganz gut verlief, verkündete er dann: «Wir schauen uns jetzt, nachdem wir etwas über die Entstehung der Mittelgebirge gelesen haben, mal an, wo die denn auf der Deutschlandkarte zu finden sind.» Während er das sagte, öffnete er die Karte. Wir, Herr Löchel und die Prüfer des Referendars schauten erst verblüfft, dann machte sich Getuschel breit, und schließlich lachte die ganze Klasse. Der Referendar war völlig irritiert, kam aber nicht auf die Idee, sich zur Karte umzudrehen, sondern dachte, er hätte irgendetwas anderes falsch gemacht. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit schaute er sich um und erblickte direkt rechts über seinem Kopf den großen, schwarzen Adler, der auf die Karte gemalt war und

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