Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
der in seinen Klauen ein Hakenkreuz hielt. Der Rand der Karte war mit ebensolchen Symbolen versehen, und auf der Karte waren detailliert einzelne Gaubezirke eingezeichnet.
Erschrocken las der Referendar die Überschrift der Karte laut vor: «Das Dritte Reich.» Der Kopf des Referendars lief rot an und hatte jetzt die gleiche Farbe wie der große Fleck auf der Karte, der die «Reichshauptstadt» Berlin darstellte.
Der Referendar beeilte sich, die Karte wieder einzurollen und entschuldigte sich vielmals. Dabei konnte er eigentlich gar nichts dafür. Die einzige aktuelle Deutschlandkarte, die es gab, war wohl schon von einem anderen Lehrer geholt worden, und so hatte er zu dieser gegriffen. Und streng genommen wäre diese Karte für die Erkundung der Mittelgebirge auch in Ordnung gewesen. Der politische Kontext war dem Referendar dann wohl aber doch zu brisant.
Die Stunde, die eh auf das Ende zuging, war nun vollends gelaufen, denn eine aufgebrachte, sich vor Lachen krümmende Klasse zu beruhigen und wieder ans Arbeiten zu bekommen, wäre auch einem erfahrenen Lehrer nicht gelungen. Zur allgemeinen Heiterkeit hatte Fabio nämlich außerdem damit begonnen, eine ziemlich perfekte Hitlerparodie vorzutragen, indem er die Namen der Mittelgebirge aus seinem Erdkundebuch vorlas.
Kurze Zeit später bekamen wir eine brandneue Deutschlandkarte. Ohne Kolonien und mit sechzehn Bundesländern. Das ist auch typisch Schule: Es muss immer erst etwas passieren, bevor man die Ausstattung verbessert.
Ein weiteres sehr altes Lehrmaterial mussten wir allerdings weiter benutzen: die Bibel. Bei einem Buch, in dem das aktuellste Kapitel ungefähr 1900 Jahre alt ist, ist es ja auch okay, in Exemplaren von 1975 zu blättern. Also inhaltlich. Da änderte sich ja nichts mehr.
Aber selbst Bibeln – und besonders Schulbibeln – unterliegen einem irdischen Zerfallsprozess. Und so besaßen wir Bibeln, in denen der Schöpfungsprozess noch nicht abgeschlossen war. Da kriechen vermutlich heute noch aus der Genesis so kleine, fiese Krabbelviecher heraus. Zugegeben, die Bücher wurden nicht gerade pfleglich behandelt. Sie lagen meist ganz hinten in irgendwelchen Schulschränken und gammelten vor sich hin. Denn immer, wenn ein Religionslehrer mal sagte: «So, heute brauchen wir die Bibeln», bildete sich ein breiter Widerstand seitens der Schüler: «Och, nö! Nichts mit Bibeln. Können wir nicht was ohne Gott machen?» In den meisten Fällen gab der Lehrer dann auf, und wir machten Religion ohne Gott. Dann redeten wir über Gott und die Welt, aber eben ohne Gott. Also nur über die Welt. Oder wir überredeten den Lehrer, uns eine Geschichte vorzulesen, während wir Mandalas ausmalten. Das war dann fast wieder wie in der Grundschule, und wenn einer, der zu spät zum Unterricht kam, den Klassenraum mit einem lauten «Schuldigung!» betrat, raunte der Rest der Klasse: «Pscht!»
«Wieso ‹pscht›? Was machen wir?»
«Wir machen was ohne Gott.»
Da wusste der Zuspätkömmling Bescheid, setzte sich hin, nahm seine Buntstifte heraus und begann, ebenfalls ein Mandala auszumalen …
Privatpauker
So entspannt ist Unterricht natürlich nicht immer. Heutzutage muss ja sowieso alles schneller, früher und besser gehen – auch in der Schule. Im Kampf um die besten Zukunftsaussichten wird nicht nur an Unterrichts- sondern auch an Schulformen ständig herumgedoktert. Wo und wie lernen Kinder am besten? Wo hat mein Kind die besten Chancen? Auf einer Privatschule? Einem Internat? Im drei- oder zweigliedrigen Schulsystem? In der Stadtteilschule? Um in der bösen globalisierten Welt mithalten zu können, kehren viele Eltern den staatlichen Schulen den Rücken.
Die Sprösslinge betuchter Eltern werden auf Privatschulen geschickt, damit sie schon in der Grundschule Englisch und Französisch lernen. Chinesisch sprechen sie eh schon, weil sie ein chinesisches Kindermädchen hatten. Mit neun Jahren studieren sie bereits Jura, BWL und Medizin, während sie nebenbei eine erfolgreiche Marketingfirma leiten, Astronautentrainings absolvieren und das Privatvermögen ihrer gesamten Familie verwalten.
Früher, wenn ich mit meiner Oma in der Bäckerei war, hat sie immer zu mir gesagt: «So, und jetzt darfst du dir noch ein Teilchen aussuchen.» Heute würde jedes durch teure Privatschulen gebildete Kind zurückfragen, von welcher Art Teilchen sie denn spreche, schließlich habe man erst kürzlich im Unterricht beim Bau eines Teilchenbeschleunigers ganz viele
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