Wenn der Keks redet, haben die Krümel Pause
kochte, um die Einhundert-Grad-Markierung zu erstellen. Dann konnte man durch gleichmäßig verteilte Striche die restliche Skala zwischen null und hundert Grad einzeichnen. Bis zu dem Moment, wo er das Thermometer in das kochende Wasser halten wollte, ging alles glatt. Die null Grad waren erfolgreich eingetragen, das Wasser für die hundert Grad ordnungsgemäß zum Kochen gebracht. Dann aber überraschte Herr Rudolf mit dem Satz: «Nee, da könne mer jetzt nischt dat Thermometer reinhängen, dat is zu warm. Da könnte man sisch verletzten. Wir warten, bis dat abjekühlt is.» Gesagt, getan. Nachdem das Wasser längere Zeit nicht mehr kochte, hielt er das Thermometer in das Wasser und markierte den Thermometerstand. Neben den Skalastrich schrieb er: 100 °C.
Er bemerkte seinen Fehler erst, als er die restliche Skala eintrug und das Thermometer bei ganz normaler Raumtemperatur laut seiner Eichung fünfzig Grad anzeigte. Herr Rudolf wurde rot, versuchte aber so zu tun, als sei alles richtig. Er hoffte wohl, dass wir uns durch seine natürliche Autorität davon überzeugen ließen, fünfzig Grad als realistische Raumtemperatur anzuerkennen. Als ein Schüler dennoch nachfragte, ob es nicht sinnlos gewesen wäre, das Wasser abkühlen zu lassen, erwiderte Herr Rudolf nur: «Jung, de Sinn kütt später!» Wir warten bis heute darauf.
Den nächsten kapitalen Bock leistete er sich wieder im Chemieunterricht. Er hatte eine Blechdose mit der Öffnung nach unten auf den Experimentiertisch gestellt und von oben einen Nagel durch die verschlossene Seite der Dose geschlagen. Dann schob er mit spektakulärer Geste die Schutzscheibe des Experimentiertisches hoch, die die Schüler vor Auswirkungen von gefährlichen Experimenten bewahren sollte: «Dat kann eigentlich nich schiefjehn.» Mir fielen zwar mindestens fünfhundert Gründe ein, warum es gründlich schiefgehen musste, aber das interessierte den alten Rudolf nicht.
Das Experiment startend, füllte er gasförmigen Wasserstoff von unten in die Dose. Er erklärte: «De Wasserstoff steigt auf, sammelt sisch in der Dose un will nach oben russ. Da is aber numal der Deckel druff. Aber da hab isch ja ne Loch reinjeschlagen, wo der Nagel drinne is. Jetzt strömt de Wasserstoff gleischmäßich aus dem Loch um den Nagel aus. Da kann isch dat jetzt anzünden und dann verbrennt dat langsam, aber sischer.»
Sicher war das Stichwort. Er entzündete ein Streichholz und hielt es an die Stelle, wo das Gas herauskommen sollte. Und er sollte recht behalten, dort strömte Gas aus. Nur verbrannte es nicht in einer gleichmäßigen Flamme, sondern es gab einen lauten Knall, die Dose hob wie eine Rakete ab, prallte gegen die Schutzscheibe und schleuderte auf Herrn Rudolf zu, der sie gerade noch mit dem rechten Arm abwehren konnte. Die Dose flog auf den Boden und zischte dort noch ein wenig hin und her, bis der gesamte Wasserstoff verbrannt war. Herr Rudolf hatte eine kleine Rakete gebaut. Thomas rief damals schlagfertig: «Herr Rudolf, alles klar? Fast wie im Krieg, oder?» Herr Rudolf lächelte nur. Komisch, normalerweise hätte er Thomas wegen dieses Scherzes zur Sau gemacht. Irgendwas musste ihn besänftigt haben. Vielleicht hatte er zu viel Wasserstoff eingeatmet oder die Dose doch gegen den Kopf bekommen. Der eigentliche Grund für seine Gelassenheit wird mir erst heute in der Rückschau klar: Das misslungene Experiment hatte ihm offensichtlich Spaß gemacht.
In der Ruhe liegt die Kraft
Fledermäuse haben ein unglaublich feines Gehör, das sie mittels Echoortung auch zur Jagd einsetzen. Einer Fledermaus macht man im Dunkeln so schnell nichts vor. Genauso wenig unserer Französischlehrerin Frau Dreyer. Zwar kenne ich keinen, der ihr jemals im Dunkeln begegnet ist, und auch keinen, der das jemals wollte, aber eines steht fest: Frau Dreyer hat einen geradezu übermenschlichen Gehörsinn. Ob sie damit einer Fledermaus gleich auf Insektenjagd geht, wurde nie bewiesen, aber es ist durchaus vorstellbar. Vielleicht ist sie aber auch in der Lage, Schallwellen zu sehen. Denn bei jedem noch so kleinen Geräusch in unserer Klasse zuckte sie zusammen. Bei ihr musste immer alles ganz leise sein, am besten: geräuschlos. Die Ruhe war ihr Territorium, und wer bei ihr in der Klasse saß, hatte das gefälligst zu akzeptieren.
Wäre sie zu Besuch in einem Kloster mit Schweigegelübde gewesen, hätte sie sich wahrscheinlich noch darüber beschwert, dass die Mönche und Nonnen zu laut schwiegen. Frau Dreyer
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