Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
ist nicht dasselbe wie die Erlaubnis der Menschen, die hier leben.«
Sie blinzelte in die Sonne, starrte in den Dschungel hinein, den sie auf dem Weg hierher bei der Flucht durchquert hatte. »Diese Männer. Die Prescott umgebracht haben – könnten das Maya gewesen sein? Die über die Ausgrabung verärgert sind?« Ihre Unterlippe bebte. »Wenn ich also den Tempel nie gefunden und Prescott und dem Professor davon erzählt hätte …«
Michael erhob sich aus seinem Rollstuhl, setzte sich neben Maria und legte ihr einen Arm um die Schulter. »Nicht, Maria. Du darfst dir nicht die Schuld daran geben. Bitte weine doch nicht. Vielleicht ist es Schicksal. Und die Zeit ist reif dafür, dass die Welt die im Tempel vergrabenen Geheimnisse entdeckt. Ohne dich wäre es nicht dazu gekommen.«
Er hielt sie im Arm, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Maria war froh, dass ihr Vater nicht hier war und sie in diesem Zustand erlebte. Schniefend richtete sie sich auf. Michael hob ihr Kinn an.
»Na also. Schon besser.« Er kehrte in seinen Rollstuhl zurück, behielt sie im Blick und sagte ihr, wie sie sich hinsetzen sollte.
»Hast du Bilder oder Fotos von der Wandmalerei im Tempel gemacht?«, fragte sie, da sie es kaum erwarten konnte, den Schatz zu sehen, in dessen Entdeckung sie so viel Arbeit gesteckt hatte.
»Nein. Ich bin kurz darauf wieder zur Schule gegangen, und dann bin ich krank geworden, also kam ich nicht mehr dazu, mich alleine wieder hinzuschleichen.« Er lächelte sie an. »Aber für ein hübsches Mädchen wie dich würde ich es sofort tun. Du musst mich nur drum bitten.«
Sie blickte sehnsüchtig zum Berg hinauf. Wenn sie die Augen zusammenkniff, meinte sie, gerade so einen Weg erkennen zu können. »Könntest du mir zeigen, wie ich dorthin komme? Auf der Karte, meine ich. Nach all dem Ärger, den ich verursacht habe, ist es doch das Mindeste, was ich tun kann, dem Professor zu helfen, selbst wenn es nur für einen Tag ist.«
»Selbstverständlich. Heute ist es schon zu spät – aber morgen werde ich meinen Vater bitten, dir einen seiner Männer mitzugeben, falls die Straßensperren noch nicht wieder aufgehoben sind.« Er wandte sich in seinem Sitz um und zog einen Skizzenblock aus einer Tasche. Rasch hatte er eine Karte für sie angefertigt. »Wenn du erst den Ausgangspunkt des Wanderwegs gefunden hast, musst du dich immer nur noch rechts halten – wenn du dich verirren solltest, musst du einfach wieder bergabwärts zum Fluss laufen, an ihm entlang findest du immer hin, aber das würde länger dauern als der der direkte Weg.« Mit schwungvoller Geste unterschrieb er auf dem Blatt, riss es ab und reichte es ihr. »Jetzt musst du mich aber malen lassen, sonst verlieren wir das Licht.«
Als sie nach dem Zettel griff, legte sich seine Hand auf ihre. Sie verharrten beide in der Berührung. Maria wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte – noch nie hatte ein Junge mit ihr geflirtet, so wie Michael es tat. Er war jedoch so wohlerzogen, so weltgewandt, dass es wahrscheinlich gar nichts bedeutete. Vielleicht wollte er einfach nur nett sein.
Helda kam aus dem Haus geeilt und schleppte eine Staffelei, Leinwände und eine Werkzeugkiste voller Farben und Pinsel herbei. Sie räusperte sich und trat zwischen Maria und Michael. Der Zauber war gebrochen. Nachdem sie die Staffelei aufgestellt hatte, setzte die Krankenschwester sich neben Michael auf die Bank und starrte Maria finster an. Wie eine Anstandsdame.
Michael wurde sie jedoch rasch wieder los, indem er erklärte: »Dein Schatten, Helda. Ich fürchte, du wirst dich umsetzen müssen. Der Stuhl da hinten in der Ecke, wenn es dir nichts ausmacht.«
Die Schwester zog beleidigt ab, warf Maria noch einen wütenden Blick zu und verzog sich dann auf den ihr von Michael zugewiesenen Platz, der sich außer Hörweite befand.
Zunächst fühlte Maria sich sehr unwohl, steif, sie wusste nicht, wie sie das Kinn und die Hände halten und welchen Blick sie aufsetzen sollte. Aber Michael unterhielt sich beim Malen weiter mit ihr, und so entspannte sie sich schließlich. Ihr wurde klar, dass er tatsächlich nicht mit ihr geflirtet hatte – mit Helda sprach er auf dieselbe Art. Er war einfach nur ein unglaublich netter, charmanter Kerl. Und gut aussehend.
Bloß gut, dass er nicht auf dem Kreuzfahrtschiff gewesen war. Maria wäre ihm dort nie so nahe gekommen, bei all den attraktiven Mädchen auf dem Schiff.
»Wo hast du malen gelernt?«, fragte sie ihn.
»Auf den Internaten,
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