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Wenn der Wetterhahn kräht

Wenn der Wetterhahn kräht

Titel: Wenn der Wetterhahn kräht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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auch angemessen
würdigte, waren noch nie ihr Fall gewesen. Sie wettete heimlich mit sich
selbst, daß ihr redseliger Reisegefährte sein Schweigen bestimmt nicht lange
aushalten würde, und behielt recht. Seine nächste Aktion bestand darin, daß er
eine große Landkarte ausbreitete und die Männer zu seiner Rechten und zu seiner
Linken veranlaßte, sie flach zu halten, während er wild gestikulierend und
grimassierend auf sie einredete.
    »Wahrscheinlich zeigt er ihnen, welchen
Kurs wir seiner Meinung nach einschlagen werden«, flüsterte Catriona Helen ins
Ohr. »Wale schwimmen normalerweise immer von der Stellwagen-Bank vor
Massachusetts in den Golf von Maine und ziehen dann an den Inseln vorbei.«
    »An welchen Inseln?« erkundigte sich
Helen.
    »An allen Inseln, die ihnen Zusagen,
nehme ich an. Wir haben Unmengen davon. Der große Gletscher hat hier mal ein
Stück von der Küste abgebissen und in kleinen Stückchen wieder ausgespuckt, und
die Wellen haben sie hinaus aufs Meer getragen. Wenn dieser komische Typ
versuchen sollte, uns mit seiner blöden Landkarte wegzudrängen, schlage ich
vor, wir starten eine Meuterei.«
    Der Mann mit der Karte hatte aufgehört,
seine unmittelbaren Nachbarn zu belehren, und versuchte nun, die anderen beiden
Männer zu bewegen, mit ihnen die Plätze zu tauschen, damit er auch sie mit seinen
Erklärungen beglücken konnte. Auch Helen war der Meinung, daß Typen mit
Landkarten entschlossen in ihre Schranken verwiesen werden sollten.
    Iduna würde er jedenfalls nicht
belästigen. Sie döste friedlich vor sich hin, hatte ihr Gesicht durch einen
altmodischen Sonnenhut aus Kattun vor Wind und Sonne geschützt, und Helens
Strickjacke zwischen Kopf und Kajütenwand gerollt, um das ständige Vibrieren
und Schaukeln abzufangen.
    Nach einer Weile wünschte sich Helen,
Iduna sähe nicht so entspannt und zufrieden aus. Sie wollte ihre Freundin nicht
stören, hätte aber liebend gern ihre Strickjacke gehabt. Die Sonne, die zu
Beginn ihrer Reise so angenehm geschienen hatte, begann sich hinter etwas
zurückzuziehen, das verdächtig nach einer heraufziehenden Nebelbank aussah.
Helen hatte zwar keine Angst, doch sie fing allmählich an, sich fürchterlich zu
langweilen. Es gab wirklich Angenehmeres, als hier eingeklemmt herumzusitzen
und nichts weiter zu sehen als immer nur Wellen.
    Die fünf männlichen Passagiere schienen
von ähnlichen Empfindungen geplagt zu werden. Sie hatten mit ihren harmlosen
Späßen aufgehört, die Landkarte wieder verstaut und waren in Schweigen
verfallen. Sogar Bürstenschnitt wußte anscheinend nichts mehr zu sagen. Helen
hoffte nur, daß sie nicht alle miteinander seekrank wurden. In dieser
drangvollen Enge würde das eine wahre Katastrophe bedeuten.
    Sie näherten sich einer Insel.
Jedenfalls nahm Helen an, daß man dieses Gebilde — eine lange, flache, graue
Erhebung im Wasser — als Insel bezeichnen konnte. Eustace drosselte die
Geschwindigkeit und lenkte die ›Ethelbert Nevin‹ näher an das Gebilde heran.
Die Insel öffnete ein kleines Auge. Catriona stupste Iduna an.
    »Aufwachen«, flüsterte sie. »Wir haben
einen Wal gesichtet.«
    Iduna setzte sich kerzengerade auf, schob
ihren Sonnenhut hoch und richtete ihren Blick auf das Ungeheuer der Tiefe. Der
Wal schaute zurück. Dann zwinkerte er ihr ganz unverkennbar zu, senkte sein
mächtiges Haupt und tauchte in aller Seelenruhe ab.
    Iduna nickte ihm zum Abschied
freundlich zu. »Was für ein netter Wal. Hier, Helen, das ziehst du dir besser
über. Weckt mich, wenn wir noch einen treffen.«
    Sie reichte Helen die Strickjacke, nach
der sie sich die ganze Zeit gesehnt hatte, zog sich ihren Regenmantel an, schob
den Sonnenhut wieder herunter und döste weiter.
    Inzwischen befanden sie sich
tatsächlich zwischen den Inseln, die allerdings nicht sonderlich interessant
aussahen, bloß unwirtliche Felsgebilde, entweder gänzlich kahl oder mit kargem
Bewuchs, nur auf einer stand eine halbverfallene Fischerhütte. Weit vor ihnen
in der Fahrrinne tat ihnen ein weiterer Wal den Gefallen aufzutauchen, hievte
seinen riesigen Körper aus dem Wasser und schlug mit einem ungeheuren
Plantscher wieder auf. Catriona zog sich ihren Regenmantel über.
    »Ein Glück, daß der verspielte kleine
Kerl nicht so nahe war wie der erste. Gefällt dir unser Ausflug, Marsh?«
    »Ich bin mir nicht ganz sicher«,
antwortete Helen wahrheitsgemäß. »Es ist irgendwie unheimlich mitanzusehen, wie
etwas, das viel größer ist als das Boot, im

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