Wenn die Dunkelheit kommt
wußte, daß er auf der Abschußliste stand, warum hat er sich nicht in seinem eigenen Haus verkrochen oder ist zu Ihnen gekommen, um Sie um Schutz zu bitten? Unter solchen Umständen gäbe es doch in der ganzen Stadt keinen sichereren Ort als Ihr Haus. Angesichts dessen, was sich hier abspielt, haben Sie sich doch da draußen in Brooklyn Heights sicher wie in einer Festung verschanzt.«
»Das stimmt«, sagte der Alte. »Mein Haus ist eine Festung.« Seine Augen blinzelten einmal, zweimal, so langsam wie Eidechsenaugen. »Eine Festung -aber doch nicht sicher. Lavelle hat schon zweimal in meinem eigenen Haus zugeschlagen, trotz der strengen Sicherheitsvorkehrungen.«
»Sie meinen, er hat in Ihrem Haus getötet...«
»Ja.«
»Wen?«
»Ginger und Pepper.«
»Wer ist das?«
»Meine Hündchen. Ein Zwergspanielpärchen.«
»Aha.«
»Kleine Hunde, wissen Sie.«
»Und sie wurden in Ihrem Haus getötet?«
Carramazza blickte auf. »Gestern nacht. In Stücke geris sen. Irgendwie - wir wissen immer noch nicht, wie - ist Lavelle oder einer seiner Leute ins Haus gelangt, hat meine süßen kleinen Hündchen getötet und es wieder verlassen, ohne entdeckt zu werden.« Er schlug mit seiner knochigen Hand auf den Diplomatenkoffer. »Verdammt! Dabeiist das ganz unmöglich! Das Haus ist vollkommen dicht! Von einer kleinen Armee bewacht! Ginger und Pepper waren so zutraulich. Sie hätten nie jemand gebissen. Nie. Sie bellten auch fast nie. Sie haben es nicht verdient, so brutal behandelt zu werden. Zwei unschuldige kleine Wesen.«
Jack war einigermaßen erstaunt. Dieser Mörder, dieser greisenhafte Rauschgifthändler, dieser alte Halsabschneider, diese gefährliche, giftige Eidechse von einem Menschen, der um seinen toten Bruder nicht weinen konnte oder wollte, schien jetzt gleich in Tränen ausbrechen zu wollen, weil jemand seine Hündchen umgebracht hatte.
Jack warf einen Blick auf Rebecca. Sie starrte Carramazza an, halb mit großäugigem Erstaunen, halb wie je mand, der beobachtet, wie eine besonders abscheuliche Kreatur unter einem Stein hervorkriecht.
Jack war sich nicht ganz sicher, wie er einen weinerlichen Mafia -Chef behandeln sollte, und er versuchte, Carramazza von seinen Hunden abzulenken, ehe der Alte endgültig in jenen kläglichen und peinlichen Zustand abglitt, dem er jetzt gefährlich nahe war. Er sagte: »Es wird gemunkelt, daß Lavelle behauptet, er ginge mit Voodoo gegen Sie vor.«
Carramazza nickte. »Das sagt er.«
»Und Sie glauben es?«
»Er scheint es ernst zu meinen.«
»Und glauben Sie, daß an dieser Voodoo-Sache etwas dran ist?«
Carramazza antwortete nicht. Er blickte durch das Seitenfenster hinaus in das Schneegestöber, das der Wind an der Limousine vorbeipeitschte.
Obwohl Jack merkte, daß Rebecca ihn mißbilligend ansah, hakte er nach: »Glauben Sie, da ist etwas dran?«
Carramazza wandte sein Gesicht vom Fenster ab. »Sie meinen, ob ich glaube, daß es funktioniert? Vor einem Monat hätte ich noch gelacht, wenn mich das jemand gefragt hätte, aber jetzt...«
Jack sagte: »Jetzt fragen Sie sich, ob nicht vielleicht...«
»Ja. Ob nicht vielleicht...«
Jack sah, daß sich die Augen des alten Mannes verändert hatten. Sie waren immer noch hart, immer noch kalt, immer noch wachsam, aber jetzt lag etwas Neues darin.
Angst. Es war ein Gefühl, dem der gehässige alte Bastard eigentlich schon lange entwöhnt sein mußte.
»Finden Sie ihn«, sagte Carramazza.
»Wir werden es versuchen«, versprach Jack.
»Halten Sie ihn auf», verlangte Carramazza, und seine Stimme hörte sich an, als wäre er so nahe daran wie nie davor, zu einem Vertreter des Gesetzes >bitte< zu sagen.
Die Mercedes-Limousine fuhr vom Rinnstein weg und die Hotelauffahrt hinunter und hinterließ tiefe Spuren in dem Viertelzoll Schnee, der jetzt das Pflaster bedeckte.
Jack und Rebecca blieben einen Augenblick auf dem Gehsteig stehen und sahen dem Wagen nach.
Rebecca sagte: »Wir müssen ins Hauptquartier zurück.«
Jack nahm das Foto von Lavelle aus dem Umschlag, den Carramazza ihm gegeben hatte, und steckte es in die Innentasche seines Mantels.
»Was hast du vor?« fragte Rebecca.
Er reichte ihr den Umschlag. »Ich bin in einer Stunde im Hauptquartier.«
»Du willst nach Harlem hinaus, stimmt's?«
»Hör zu, Rebecca...«
»Zu diesem verdammten Voodoo-Laden.«
Er sagte nichts.
Sie sagte: »Ich wußte es. Du rennst da hinaus, um noch einmal mit Carver Hampton zu sprechen. Mit diesem Scharlatan. Diesem
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