Wenn die Dunkelheit kommt
oder? Die geben den Polizisten wirklich gute Pistolen, oder nicht? Die würden doch einen Polizisten nicht mit einer mistigen Pistole auf die Straße schicken, was?«
»Du sollst nicht >mistig< sagen.«
»Würden sie das tun?«
»Nein. Die Polizisten kriegen die besten Pistolen, die es gibt.«
»Und Dad ist ein guter Schütze, oder?«
»Ja.«
»Er ist der beste, nicht wahr?«
»Sicher«, sagte Penny. »Niemand kann besser mit einer Waffe umgehen als Daddy.«
»Dann kann es ihn also nur erwischen, wenn sich je mand an ihn ranschleicht und ihn in den Rücken schießt.«
»Das wird nicht passieren«, sagte sie fest.
»Könnte aber doch sein.«
»Du siehst zuviel fern.«
Sie schwiegen einen Augenblick.
Dann sagte er: »Wenn jemand Dad umbringt, möchte ich Krebs kriegen und auch sterben.«
»Hör auf damit, Davey.«
»Krebs oder einen Herzschlag oder so was.«
»Das meinst du doch nicht ernst!«
Er nickte nachdrücklich, energisch: ja, ja, ja; er meinte es ernst; absolut und eindeutig. »Ich habe zum lieben Gott gebetet, daß es so passiert, wenn es wirklich passieren muß.«
»Wie meinst du das?« fragte sie und sah ihn stirnrunzelnd an.
»Jeden Abend. Wenn ich mein Nachtgebet spreche. Ich bitte Gott immer, daß er Dad nichts zustoßen läßt. Und dann sage ich: Na ja, lieber Gott, wenn du aus irgendeinem blöden Grund einfach nicht anders kannst, als zuzulassen, daß er erschossen wird, dann laß mich bitte Krebs kriegen und auch sterben. Oder laß mich von einem Laster überfahren. Irgendwas.«
»Das ist ja krankhaft.«
Er sagte nichts mehr.
Sie faßte ihn am Kinn und drehte sein Gesicht zu sich.
In seinen Augen glänzten Tränen. Er gab sich alle Mühe, sie zurückzuhalten und blinzelte und zwinkerte.
Er war so klein. Gerade erst sieben Jahre alt und nicht sehr groß für sein Alter. Er wirkte zerbrechlich und hilflos, und Penny hätte ihn am liebsten umarmt und an sich gedrückt, aber sie wußte, daß er das nicht mochte, weil einige andere Jungs aus seiner Klasse sie sehen könnten.
Plötzlich fühlte sie sich selbst klein und hilflos. Aber das war nicht gut. Gar nicht gut. Sie mußte stark sein, um Daveys willen.
Sie ließ sein Kinn los und sagte: »Hör zu, Davey, wir müssen uns mal zusammensetzen und miteinander reden. Über Mama. Darüber, daß Leute sterben, und warum das passiert, du weißt schon -was es bedeutet und so, und daß es nicht das Ende für sie ist, sondern vielleicht nur der Anfang da oben im Himmel, und daß wir einfach weitermachen müssen, ganz gleich, was kommt. Denn es ist so. Wir müssen weitermachen. Mama wäre sehr enttäuscht von uns, wenn wir nicht weitermachen. Und wenn Dad etwas passieren sollte - es wird ihm nichts passieren -aber wenn es durch einen verrückten Zufall doch so kommen sollte, dann würde er auch wollen, daß wir weitermachen, genauso wie Mama es wollen würde. Er wäre sehr unglücklich, wenn wir...«
»Penny! Davey! Hierher!«
Ein gelbes Taxi stand am Rinnstein. Das rückwärtige Fenster war heruntergekurbelt, und Tante Faye beugte sich heraus und winkte ihnen zu.
Davey stürmte über den Gehsteig, er hatte es plötzlich so eilig, dieses Gespräch über den Tod abzubrechen, daß er sogar froh war, seine schnatternde alte Tante Faye zu sehen.
Verdammt! Ich hab's verpatzt, dachte Penny. Ich hab' es zu ungeschickt angefangen. Genau in diesem Augenblick, ehe sie Davey zum Taxi folgte, ehe sie auch nur einen Schritt machen konnte, schoß ein scharfer Schmerz durch ihren linken Knöchel. Sie zuckte zusammen, japste, schaute hinunter - und erstarrte vor Entsetzen.
Zwischen dem unteren Rand des grünen Tors und dem Pflaster war ein vier Zoll breiter Spalt. Durch diesen Spalt war eine Hand gekommen, aus der Dunkelheit in dem überdachten Durchgang dahinter, und hatte ihren Knöchel gepackt.
Sie konnte nicht schreien. Ihre Stimme war weg.
Es war auch keine menschliche Hand. Sie war vielleicht doppelt so groß wie eine Katzenpfote. Aber es war keine Pfote. Es war eine vollständig, wenn auch sehr plumpe Hand mit Fingern und einem Daumen.
Sie konnte nicht einmal flüstern. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Die Hand war nicht hautfarben. Sie war häßlich grau-grün-gelb gefleckt, wie eiterndes Heisch. Und sie sah irgendwie klumpig und ein wenig fransig aus.
Das Atmen fiel ebenso schwer wie Schreien.
Die kleinen grau-grün-gelben Finger liefen spitz zu und endeten in scharfen Klauen. Zwei dieser Klauen hatten ihren Gummistiefel
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