Wenn die Dunkelheit kommt
Plakat von einer Jasper-Johns-Kunstausstellung wurde aus seiner Verankerung gerissen und flog von der Wand. Es war ein großes Plakat, dreieinhalb auf zweieinhalb Fuß, gerahmt und hinter Glas. Einen Augenblick lang hing es vibrierend in der Luft, dann schlug es mit einem gewaltigen Krach am Fußende des Betts auf dem Boden auf.
»Was, zum Teufel...?« entfuhr es Jack.
»Wie konnte das passieren?« fragte Rebecca.
Die Schiebetür des Schranks flog krachend auf, schlug zu, flog wieder auf.
Die Kommode mit den sechs Schubladen kippte von der Wand weg auf Jack zu, er sprang aus dem Weg, und das große Möbelstück stürzte mit einem Getöse um, als sei eine Bombe explodiert.
Rebecca wich an die Wand zurück und blieb dort stehen, erstarrt, mit weit aufgerissenen Augen, die Hände zu Fäusten geballt.
Es war kalt. Wind jagte durch den Raum. Nicht nur ein Luftzug, ein richtiger Wind, fast so stark wie der Sturm, der draußen durch die Straßen der Stadt peitschte. Aber es gab keine Stelle, wo ein kalter Wind hätte eindringen können; Türen und Fenster waren fest geschlossen.
Und jetzt schien es, als packten unsichtbare Hände die Gardinen am Fenster und rissen sie von ihrer Stange. Die Vorhänge sanken zu Boden, dann wurde auch die Stange aus der Wand gerissen und beiseite geworfen.
Schubladen glitten aus den Nachttischen, fielen auf den Boden, gössen ihren Inhalt aus. Mehrere Tapetenbahnen begannen sich von den Wänden zu schälen, es fing oben an und ging bis nach unten weiter.
Jack wandte sich hierhin und dorthin, er war entsetzt, verwirrt und wußte nicht, was er tun sollte.
Der Toilettenspiegel barst in spinnwebförmigen Sprüngen.
Das Unsichtbare riß die Decke vom Bett und schleuderte sie auf die umgestürzte Kommode.
»Aufhören!« schrie Rebecca ins Leere. »Aufhören!«
Der unsichtbare Eindringling gehorchte nicht.
Das obere Laken wurde vom Bett gezogen. Es wirbelte in der Luft, als habe ihm jemand Leben und die Fähigkeit zu fliegen verliehen; dann schwebte es in eine Ecke des Raumes, wo es wieder leblos in sich zusammenfiel.
Das eingesteckte untere Laken sprang an zwei Ecken heraus.
Jack packte es.
Die beiden anderen Ecken lösten sich ebenfalls.
Jack versuchte, das Laken festzuhalten. Es war ein schwacher, sinnloser Versuch, der Macht, die den Raum verwüstete, Widerstand leisten zu wollen, aber etwas anderes fiel ihm nicht ein, und er mußte einfach irgend etwas tun. Das Laken wurde ihm plötzlich mit solcher Kraft aus der Hand gerissen, daß er das Gleichgewicht verlor. Er stolperte und fiel auf die Knie.
Auf dem fahrbaren Fernsehtisch in der Ecke schaltete sich das tragbare Fernsehgerät von selbst ein und dröhnte mit voller Lautstärke los.
Jack rappelte sich auf.
Der Matratzenüberzug wurde vom Bett geschält, in die Luft gehoben, zu einer Kugel zusammengerollt und nach Rebecca geworfen.
Die Matratze war jetzt kahl. Die wattierte, obere Schicht beulte sich ein. Ein Riß erschien darin. Das Gewebe riß in der Mitte von oben nach unten durch, Füllmaterial quoll heraus, zusammen mit ein paar emporschnellenden Federn, die wie von einer unhörbaren Musik beschworene Kobras herauskamen.
Noch mehr Tapetenbahnen lösten sich. Die Schranktür knallte so fest zu, daß sie teilweise aus den Angeln sprang und hin- und herklapperte.
Der Bildschirm implodierte. Gleichzeitig mit dem Geräusch brechenden Glases blitzte kurz ein Lichtstrahl im Inneren des Geräts auf, dann kam ein wenig Rauch.
Stille.
Jack blickte Rebecca an. Sie wirkte verwirrt. Entsetzt.
Das Telefon klingelte.
Im selben Augenblick, als Jack es hörte, wußte er, wer anrief. Er riß den Hörer hoch, hielt ihn sich ans Ohr, und sagte nichts.
»Sie hecheln ja wie ein Hund, Lieutenant Dawson«, sagte Lavelle. »Aufgeregt? Meine kleine Demonstration hat Sie offenbar fasziniert.«
Jack zitterte so heftig und unkontrolliert, daß er seiner Stimme nicht traute. Er antwortete nicht, weil er nicht wollte, daß Lavelle hörte, wie verschreckt er war.
Außerdem schien es Lavelle nicht zu interessieren, was Jack vielleicht zu sagen hatte; er wartete nicht lange genug auf eine Antwort, selbst wenn er eine bekommen hätte. Der Bocor fuhr fort: »Wenn Sie Ihre Kinder sehen - tot, verstümmelt, die Augen herausgerissen, die Lippen abge fressen, die Finger bis auf die Knochen abgenagt - dann denken Sie daran, daß Sie sie hätten retten können. Vergessen Sie nicht, daß Sie selbst es sind, der ihr Todesurteil unterzeichnet hat. Sie
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