Wenn die Dunkelheit kommt
wie sie war. Das Verständnis steigerte seinen Respekt und die tiefe Zuneigung, die er schon für sie empfand. Sie war eine ganz besondere Frau.
Er ahnte, daß dieser Abend einer der wichtigsten in seinem Leben war. Die lange Einsamkeit nach Lindas Tod ging endlich zu Ende. Nun, mit Rebecca, würde er einen neuen Anfang machen.
Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen.
10
»Tötet sie, tötet sie«, sagte Lavelle.
Seine Stimme hallte in die Grube hinunter, wurde wieder und wieder zurückgeworfen wie aus einem tiefen Schacht.
Der undeutlich pulsierende, sich verändernde, amorphe Boden der Grube wurde plötzlich lebendig. Er warf Blasen, wallte auf, wirbelte. Aus der lavaartigen
Schmelzmasse - die eine Armeslänge oder auch Meilen entfernt in der Tiefe hätte sein können - formte sich eine Gestalt. Eine monströse Gestalt.
11
»Als deine Mutter getötet wurde, warst du erst...«
»Sieben Jahre alt. Ich war einen Monat vor ihrem Tod sieben geworden.«
»Wer zog dich danach auf?«
»Ich kam zu meinen Großeltern, der Familie meiner Mutter.«
»Ging das gut?«
»Sie mochten mich sehr gern. Deshalb ging es eine Weile gut.«
»Nur eine Weile?«
»Dann starb mein Großvater.«
»Noch ein Todesfall?«
»Immer noch einer.«
»Wie?«
»Krebs. Den plötzlichen Tod hatte ich schon erlebt. Jetzt war es Zeit, daß ich das langsame Sterben kennenlernte.«
»Wie langsam?«
»Zwei Jahre vom Zeitpunkt der Krebsdiagnose bis zu dem Tag, an dem er endlich erlöst wurde. Er schwand dahin, verlor sechzig Pfund, ehe er starb, und durch die Radiumbestrahlungen fielen ihm alle Haare aus. In diesen letzten paar Wochen wurde er dem Aussehen und dem Verhalten nach ein völlig anderer Mensch.«
»Wie alt warst du, als du ihn verloren hast?«
»Elfeinhalb.«
»Dann war nur noch deine Großmutter da.«
»Ein paar Jahre lang. Als ich dann fünfzehn war, starb auch sie. Das Herz. Nicht wirklich plötzlich, aber auch nicht wirklich langsam. Danach wurde ich unter amtliche Vormundschaft gestellt. Die nächsten drei Jahre, bis zum achtzehnten Lebensjahr, verbrachte ich bei einer Reihe von Pflegefamilien. Vier insgesamt. Keinem meiner Pflegeeltern kam ich jemals nahe; ich gestattete mir nie, ihnen nahezukommen. Ich ließ mich immer wieder einer anderen Familie zuteilen, verstehst du. Denn inzwischen hatte ich, so jung ich noch war, begriffen, daß es einfach zu gefährlich ist, Menschen zu lieben, sich auf sie zu verlassen, sie zu brauchen. Wir sind alle so kurzlebig. So zerbrechlich. Und das Leben ist so unberechenbar.«
»Aber das ist doch kein Grund, unbedingt alleine bleiben zu wollen«, sagte Jack. »Siehst du nicht, daß eigentlich - daß das der Grund ist, warum wir Menschen finden müssen, die wir lieben können, Menschen, mit denen wir unser Leben teilen, denen wir unsere Herzen und Gedanken öffnen, auf die wir uns verlassen, die wir schätzen, die sich auf uns verlassen, wenn sie die Gewißheit brauchen, daß sie nicht alleine sind. Seine Freunde und seine Familie gernzuhaben, zu wissen, daß sie einen gernhaben - das lenkt uns von der Leere ab, die auf uns alle wartet.Indem wir lieben und zulassen, daß man uns liebt, geben wir unserem Leben Sinn und Bedeutung. Wenigstens für kurze Zeit können wir durch die Liebe die gottverdammte Dunkelheit vergessen, die am Ende von allem steht.«
Als er geendet hatte, war er ganz außer Atem -und staunte über das, was er gesagt hatte, seine intuitive Einsicht erschreckte ihn.
Sie schob einen Arm über seine Brust. Sie hielt ihn fest.
Sie sagte: »Du hast recht. Ein Teil von mir weiß, daß das wahr ist, was du gesagt hast.«
»Gut.«
»Aber es gibt noch einen anderen Teil, der hat Angst da vor, jemals wieder zu lieben oder geliebt zu werden. Die ser Teil kann es nicht ertragen, alles wieder zu verlieren.
Dieser Teil glaubt, Einsamkeit sei besser als solch ein Verlust und ein solcher Schmerz.«
»Aber schau, genau das ist es doch. Liebe, die man geschenkt oder empfangen hat, geht nie verloren«, sagte er und hie lt sie fest. »Wenn du einmal jemanden geliebt hast, ist die Liebe immer da, auch dann, wenn der andere fort ist. Liebe ist das einzige, das Bestand hat.«
Minutenlang lagen sie schweigend da und berührten sich.
Jack hatte den verzweifelten Wunsch, Rebecca möge für den Rest seines Lebens mit ihm zusammenbleiben. Er fürchtete sich davor, sie zu verlieren.
Aber er sagte nichts mehr. Die Entscheidung lag bei ihr.
Nach einer Weile sagte sie: »Zum
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