Wenn die Liebe dich findet
Tante sie ermahnt. »Dein Name darf nicht mit diesem Verrückten in Verbindung gebracht werden. Du darfst nicht mit ihm sprechen und dich auch nicht mit ihm in einem Raum aufhalten!«
Da Amanda nur nickte, konnte Julie nicht mehr viel sagen. »Gott sei Dank hat dein Bruder dir den Kopf zurechtgerückt!«
Der vierte Vortrag fand dann gestern Abend vor dem Dinner statt. Nun ja, vielleicht kein Vortrag, sondern eher eine Maßnahme, die verhindern sollte, dass weitere Predigten nötig wären: Amandas Vater war in die Stadt zurückgekehrt und wollte für die gesamte Saison bleiben.
»Ich bin nicht hier, um mir Ausreden anzuhören«, begann Preston, als er in den Salon schlenderte. »Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass du keine mehr nötig hast.«
Amanda war nicht unerfreut über die Ankunft ihres Vaters. Seit ihrer ersten Saison hatte sie gehofft, dass er mit ihr in die Stadt käme, aber er tat es nie, da sie so viele Verwandte in London hatten, die Amanda begleiten konnten, dass es nicht notwendig war. Sie versuchte auch nicht, ihn dazu zu überreden, da die ganze Familie wusste, dass er sich nicht gern in London aufhielt.
Sie sprang also mit einem glücklichen Lachen vom Sofa auf, um ihn zu umarmen. »Rafe hat mir schon die Meinung gesagt.«
»Brüder sind gar nicht so übel, oder?«, neckte Preston seine Tochter.
Wenigstens war ihr Vater nicht verärgert, dass er in London bleiben musste, um ein Auge auf sie zu haben. Nun versuchte er, sie überallhin zu begleiten – außer in die Bond Street. Er sagte, das letzte Mal, als er dort mit ihrer Mutter einkaufen war, hätte er sie fast erwürgt. Natürlich war das ein Scherz, aber er fügte hinzu: »Ich habe mir geschworen, das nie wieder zu tun. Aber ich gebe dir meinen Butler mit, wenn du für dieses Jahr noch nicht genug eingekauft hast.«
Was ein ziemliches Dilemma für Amanda darstellte. Wenn sie jemandem in ihrer Familie verraten hätte, wohin sie wirklich ging und warum, hätte Julie sicher darauf bestanden, dass sie einen männlichen Angehörigen mitnahm, da sie sich alle mit Pferden auskannten, im Gegensatz zu ihr. Amanda hätte das an sich nichts ausgemacht, aber nicht bei ihrer ersten Reitstunde. Wenn sie es heute schaffen würde, auf ein Pferd zu steigen, wären keine weiteren Stunden nötig. Wozu also irgendjemanden in das einweihen, was sie vorhatte, nur um später zugeben zu müssen, dass sie versagt hatte? Außerdem wollte sie Devin Baldwin heute ordentlich die Meinung sagen, und dafür brauchte sie keine Zuhörer.
Ihr Vater hatte beschlossen, während seines Aufenthalts in London nicht bei seiner Schwester zu wohnen, denn in dem Haus in der Arlington Street wohnten bereits Julie, ihre beiden Söhne, ihre neue Schwiegertochter und Amanda. Stattdessen quartierte er sich in Raphaels Stadthaus ein und schlug Amanda vor, es ihm gleichzutun, jetzt wo er bis zum Ende der Saison oder bis zu ihrer Verlobung bleiben würde. Sie hatte auch vor umzuziehen, aber erst, wenn sie diesen ersten Besuch auf Devins Farm hinter sich hatte. Ihr Vater hatte seinen Butler noch nicht geschickt, deshalb bot dieser Morgen wohl die einzige Gelegenheit, ein paar Stunden nur in Begleitung ihrer Magd das Haus zu verlassen.
Julie ließ Amanda gehen, sie kaufte ihr das Märchen ab. Alice beklagte sich lediglich einmal in Amandas Zimmer und noch einmal in der Kutsche, da sie genau wusste, wohin es ging.
Alice war Amandas Zofe, seit sie denken konnte. Die unscheinbare Frau mittleren Alters war auch nicht entlassen worden, als Amanda ins Internat geschickt wurde; sie war immer da, um ihren Dienst zu tun, wenn Amanda nach Hause nach Norford Hall kam. Sie war eine hervorragende Zofe, aufgrund der langjährigen engen Beziehung zu Amanda nahm sie sich allerdings einige Freiheiten heraus, zum Beispiel, nie den Mund zu halten, wenn sie etwas zu sagen hatte.
»Sie hätten doch nicht lügen müssen”, meinte Alice, sobald sie die Vorhänge vor den Kutschenfenstern zugezogen hatte und Amanda in die Reitkleidung half, die ihr perfekt passte. »Lügen führen nur zu noch mehr Lügen, und bald wissen Sie selbst nicht mehr, was wahr und was erfunden ist. Sie dienen nie irgendeinem guten Zweck, man bekommt nur Schuldgefühle.«
Amanda seufzte, sie fühlte sich jetzt schon schuldig, mehr als sie zugeben wollte. Es war ihr sehr schwergefallen, ihrer Tante diese Geschichte aufzutischen, von der kein Wort der Wahrheit entsprach.
Sie erklärte ihrer Zofe den Grund, warum sie gelogen hatte.
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