Wenn die Liebe erwacht
gelingt, deinen Vater wachzurütteln. Möchtest du dich von ihm verabschieden? Ich kann dir zwar nicht garantieren, daß er sich daran erinnern wird, aber …«
»Nein.«
»Dann wünschen wir dir alles Gute, meine Liebe.«
»Natürlich tut ihr das«, antwortete Leonie tonlos, ehe sie Judith den Rücken zukehrte, die das Zimmer verließ.
»Ich kann Ihnen nicht vorwerfen, daß Sie Ihre Stiefmutter nicht leiden können«, bemerkte Amelia. »Sie ist eine unangenehme Person.«
Leonie war nicht dazu aufgelegt, sich mit Amelia zu unterhalten. »Wenn Sie wohl so gütig wären, meine Zofe zu mir zu schicken, dann müßte ich Ihnen nicht mehr zur Last fallen, Lady Amelia. Ich möchte ein Bad nehmen und eine Mahlzeit bekommen, da ich nicht die Absicht habe, dieses Zimmer heute zu verlassen.«
Amelia kniff die Lippen zusammen. »Wie Sie wünschen, Mylady«, sagte sie barsch und hoffte, dies arrogante Mädchen bald los zu sein.
Leonie war gerade erst aus dem Bad gestiegen, als Lady Amelia wiederkam, um zu berichten, daß ihre Eskorte bereitstand, um sie nach Pershwick zurückzubringen. Das kam so unerwartet, daß Leonie sich zu der Frage gezwungen sah:
»Sind Sie sicher, daß ich nach Pershwick gehen soll? So schnell schon?«
»Das ist die Burg, von der mein Gebieter gesprochen hat, da Sie mit deren Umgebung vertraut sind. Er wird Sie zweifellos mit dem Geld versorgen, das Sie brauchen, und vielleicht wird er einen eigenen Kämmerer ernennen, aber dort sollten Sie nicht mehr von ihm belästigt werden, solange Sie seine Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken. Ich vermute, das entspricht Ihren Wünschen?«
»Allerdings! O ja, das kann man wohl sagen!«
Diese glückliche Wendung der Dinge verblüffte Leonie, und sie traf so schnell wie möglich ihre Vorbereitungen.
Sir Guibert und Leonies Krieger sollten ihre Eskorte sein. Guibert war bestürzt, als er hörte, worin sein erster Auftrag bestand, den er für die neu vermählte Leonie ausführen sollte. Als er jedoch sah, wie eilig sie es hatte, Crewel zu verlassen, behielt er seine Bedenken für sich.
Außerdem hatte auch er gehört, daß Rolfe d’Ambert sich selten in Crewel aufhielt, und daher nahm er an, der Mann wolle es seiner Frau ersparen, dort allein zu sein. In Pershwick konnte sie mit Leuten Zusammensein, die sie kannte.
Guibert hatte auch erfahren, was Rolfe vorhatte – eine einmalige Heldentat: Er wollte mit einem kleinen Heer sieben feindliche Burgen einnehmen. Er wünschte ihm Glück, aber er wußte auch, daß diese Vorhaben sich nicht allzu schnell ausführen ließen. Er zweifelte daran, daß seine Lehnsherrin für den Rest des Jahres viel von ihrem Mann zu sehen bekäme.
Mit einem gewissen Abscheu vor sich selbst ritt Rolfe bei Sonnenuntergang durch das Tor von Crewel. Ein törichtes Verlangen, Leonie wiederzusehen, spornte ihn an.
Vieles, was sich in der letzten Nacht zugetragen hatte, war ihm unklar geblieben. Seine Verletzung war nicht schlimm, aber es war wenig schmeichelhaft, wie er sie sich zugezogen hatte. Er wußte, daß es lange her war, seit eine Frau ihr derart fasziniert hatte. Zweifellos hatte die ungewöhnliche Situation viel damit zu tun, aber es konnte nicht schaden, genauer herauszufinden, woran es lag.
Der Widerstand gegen seinen eigenen kindischen Eifer hatte viel mit seiner Reaktion zu tun, als er feststellte, daß seine Frau nicht da war und ihn erwartete. Er kehrte augenblicklich wieder um und beteiligte sich an der Belagerung der Burg Wroth. In gewisser Weise war er erleichtert. Er schalt Amelia nicht, weil sie die Grenzen ihrer Befugnisse überschritten hatte. Er hatte ihr lediglich gesagt, er würde seine Frau fortschicken, und ihr keinen Auftrag erteilt, die Sache für ihn in die Hand zu nehmen. Doch Leonies Abwesenheit hatte auch etwas Gutes, denn irgendwann hätte er sich selbst verabscheut, weil er dieses unsinnige Verlangen verspürte, mit ihr zusammenzusein. Er wollte nicht, daß diese Frau erfuhr, wie sehr er sie begehrte. Er hatte nicht vergessen, wie boshaft sie war.
Einige Meilen entfernt, in der Burg Axeford, war Sir Warren vorübergehend von Rolfe als Burgvogt eingesetzt worden, und seine Frau, Lady Roese, erzählte ihm, wie schockiert sie an jenem Morgen gewesen war, als sie Leonie d’Amberts Gesicht gesehen hatte. Warren, der wußte, welchen Ärger sein Herr mit Pershwick gehabt hatte, ging zu Recht davon aus, daß das Mädchen sich der Heirat widersetzt hatte. Wenn sie geschlagen worden war, lag die
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