Wenn die Liebe erwacht
Schlußfolgerung nahe, daß es ihr Vater war, der das getan hatte.
Warrens Frau, die einige Monate lang fort gewesen war, um ihre Familie zu besuchen, wußte nichts von dem Ärger mit Pershwick. Sie wußte auch wenig über Rolfe d’Ambert. Ihr Mann mochte ihn, aber das hieß nur, daß Sir Rolfe ein guter Lehnsherr war. Es sagte nichts über seinen Charakter aus. Sie wußte nur, daß Sir Rolfe hitzköpfig und aufbrausend war, und sie kam zu dem Schluß, daß er seine neuvermählte Frau geschlagen hatte. Ihrer Meinung nach war Lady Leonie mit einem grausamen Mann verheiratet worden.
Unglücklicherweise klärte Sir Warren dieses Mißverständnis nicht auf. Er brummte nur, als er hörte, in welchem Zustand Lady Leonie gewesen war. In Wirklichkeit hatte er überhaupt nicht zugehört. Am nächsten Tag erzählte seine Frau Lady Bertha, die sich in der Ortschaft Axeford aufhielt, die Geschichte, und daraufhin verbreitete sie sich schnell weiter.
Es dauerte nicht lange, bis sich eine handfeste Diskussion entsponnen hatte, und viele Ehepaare, aber auch die Dienstboten von Axeford, Kenil, Blythe und Crewel, stritten sich in den folgenden Wochen über diesen Punkt. Die Männer kannten ihren Herrn und stellten sich auf seine Seite. Die Frauen kannten ihn nicht, und da sie außerdem das Gefühl hatten, daß Männer einander immer blindlings und gegen jegliche Beweise verteidigten, hielten sie an ihrer Meinung fest und bedauerten die Frau, um die es ging, von ganzem Herzen.
Die Dienstboten, die Klatsch liebten, teilten sich in zwei Lager; die Männer bezogen Stellung für den Mann, die Frauen für die Frau. Niemand war sich dessen bewußt, doch dieses Thema brachte die neuen Herren von Kempston in der Treue ihrer Untergebenen ein gutes Stück weiter.
Lady Amelia war wütend, als sie den Klatsch hörte, und zwar nicht, weil ihr Liebhaber schlechtgemacht wurde, sondern weil die Frau, die bedauert wurde, Lady Leonie war, denn das würde nicht gerade dazu beitragen, daß Rolfe sie vergaß. Es konnte sogar dahin kommen, daß er sie wieder nach Crewel holte, um das Gerede zum Verstummen zu bringen.
Rolfe ahnte tatsächlich nichts von dem, was in den Wochen nach der Hochzeit über ihn gemunkelt wurde. Die Männer wollten nicht, daß ihm der Klatsch zu Ohren kam. Sogar Thorpe bemühte sich, ihn davor zu bewahren, weil er nur zu gut wußte, wie aufbrausend Rolfe war.
Rolfe fragte sich manchmal, warum seine Männer sich so seltsam benahmen und Unterhaltungen abbrachen, wenn er sich ihnen näherte, und warum sie ihre Frauen in seiner Gegenwart beschimpften. Und er hatte, verdammt noch mal, noch nie so viele schlecht gelaunte Frauen auf einem Haufen gesehen. Jedes weibliche Wesen, mit dem er zusammentraf, war gereizt.
Rolfe hatte zuviel anderes im Kopf, um sich Gedanken über das seltsame Verhalten der Frauen und Dienstmädchen zu machen. Er blieb einige Wochen lang in dem Lager außerhalb der Burg Wroth und überlegte die Bedingungen der Kapitulation.
Ja, er hatte wirklich viel im Kopf. Und doch mischten sich mit beunruhigender Häufigkeit Bilder von einer zierlichen Gestalt mit weichen Rundungen und geflüsterten Seufzern in seine Gedankengänge. Lady Leonie war, ob er es wünschte oder nicht, keineswegs in Vergessenheit geraten.
12. KAPITEL
Leonies Gebete waren erhört worden. Sie hatte ihren Mann vergessen. Ihr Leben gehörte wieder ihr allein. Kein Verwalter war nach Pershwick geschickt worden, um ihr zu zeigen, daß jetzt ein Mann ihr Leben bestimmte. Sie hatte große Mühen auf sich genommen, um sich auf das Eintreffen eines Verwalters vorzubereiten, und alle ihre Verstecke aufgegeben, damit er sie nicht bezichtigen konnte, ihrem Gebieter etwas vorzuenthalten. Alles war geregelt. Aber niemand kam, und sie hörte auf, mit dem Kommen eines Verwalters zu rechnen.
Sie brauchte sich auch keine Sorgen mehr zu machen, daß Judiths Proviantmeister kommen und ihre Vorräte plündern könnte. Sie hatte ihre Freiheit, Unabhängigkeit und ihren Frieden.
Aber nichts Gutes währt ewig. Eines Nachmittags hörte sie, als sie gerade im Garten arbeitete, daß jemand am Tor angehalten wurde, aber sie machte sich deshalb wenig Gedanken. Sir Guibert war fort und hatte den Kriegern die Verteidigung der Burg überlassen. Der Krieger, der den anderen Vorstand, nahm seine Verantwortung sehr ernst und hatte dem Torhüter befohlen, jeden anzuhalten, der die Burg betreten wollte, ob er das Gesicht kannte oder nicht.
Leonie füllte ihren Korb
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