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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Geschichte. Es ist immer das Beste, wenn man sich um sich selbst kümmert.«
    Er erwähnte nicht, dass der Fahrer nicht einmal langsamer geworden war, nachdem er mich erwischt hatte, und dass das vielleicht die ganze Geschichte war, die wir in diesem Fall kennen mussten. Aber ich vermute, die Welt der Gesetze, Verträge und Anwälte in Seersucker-Anzügen schien für ihn unerreichbar, und er wollte auch nichts damit zu tun haben. Ich fragte mich immer, ob ihm diese Welt weniger fremd vorkam, nachdem ich meinen Abschluss in Jura gemacht hatte.
    Doch damals wäre ich natürlich nie auf die Idee gekommen, sein Handeln in Frage zu stellen. Papa etwas verkünden zu hören war genauso, wie die Stimme Gottes zu hören. Er und Mama waren für uns immer ein bisschen mehr als Menschen.
    Als Mama neunzig war, erlitt sie einen Schlaganfall und musste zwei Monate ins Krankenhaus. Sie vermochte kaum ihre linke Seite zu bewegen, sondern konnte nur noch mit den Fingern wackeln. Die Ärzte in Jasper meinten, dass sie nie mehr in der Lage sein würde, selbstständig zu essen. Sie hustete jedes Mal, wenn sie zu schlucken versuchte. Tess lebte damals wieder bei ihr, und Virgie kam für einige Wochen aus Montgomery, um zu helfen. Ich reiste aus Atlanta an, so dass wir Kinder alle für zwei Wochen wieder zu Hause waren. Wir brachten sie mit einer Ernährungssonde heim, aber sie verbot der Schwester, sie anzuschließen. Stattdessen ließ sie sich von uns ihre Mahlzeiten ins Zimmer bringen und schloss dann die Tür. Schwach, aber entschlossen meinte sie, dass wir sie in Ruhe lassen sollten. Ich fuhr zweimal in der Woche zu ihr, und einige Monate lang gelang es ihr kaum, auch nur ein paar Bissen zu sich zu nehmen. Doch eines Tages kam sie zum Mittagessen aus dem Zimmer und setzte sich an den Tisch. Dann aß sie alles auf, was auf ihrem Teller lag – bis auf den letzten Bissen.
    Das einzige Mal, dass ich Mama weinen sah, war damals, als ich im Krankenhaus lag, von Kopf bis Fuß voller Straßendreck. Sie wusste nicht, dass ich wach war. Ich sah auch Pops Gesicht, das zerfurcht und alt und verängstigt wirkte. Auf einmal entdeckte ich die Menschen hinter Pop und Mama, und obwohl es nur ein kurzer Moment war, jagte es mir doch einen großen Schrecken ein.
    Dieser Laster schlug mir nicht nur ein paar Zähne ein, als er mich anfuhr.
     
    Leta
    Es lagen noch Ziegel auf der Straße, und ich konnte nicht anders. Ich musste sie mir genauer ansehen, um herauszufinden, ob Blut an ihnen klebte. Es war ein Ziegellaster aus Tupelo aus Mississippi gewesen, wie man erzählte. Ob der Fahrer betrunken oder eingeschlafen oder einfach nur unfähig gewesen war, konnte man nicht mehr sagen. Jedenfalls war er von der Straße abgekommen und hatte Jack erfasst und in den Graben geschleudert. Dann war er wieder auf die Straße zurückgekurvt und ließ nichts außer diesen Ziegeln zurück. Irgendwo weiter unten hielt ihn jemand an. Doch er weigerte sich, aus dem Laster zu steigen. Er nannte nur den Namen der Firma, entschuldigte sich und erklärte, er hätte Jack nicht gesehen. Er hätte gedacht, er hätte einen Hund angefahren.
    Auch für einen Hund hätte es sich gehört anzuhalten.
    Es war die weiteste Strecke, die ich jemals mit dem Auto zurückgelegt hatte. Albert kam aus der Grube bei uns vorbei, um mich abzuholen. Die Nachbarn hatten mir bereits erzählt, was passiert war, noch ehe es Albert von den Kumpeln erfuhr, deshalb war ich angezogen und fertig, als er vor dem Haus hielt. Keiner wusste viel mehr, als dass Jack von einem Laster angefahren worden war und sich weder bewegt noch etwas gesagt hatte, während man ihn in den Krankenwagen lud. Es sah so schlimm aus, dass man ihn direkt ins Krankenhaus nach Birmingham gebracht hatte.
    Um nach Birmingham zu gelangen, fuhren wir die Achtundsiebziger hinunter, wodurch wir genau an der Stelle vorbeikamen, an der es Jack erwischt hatte. Ich hätte es nicht gewusst, wenn ich nicht die Ziegel bemerkt hätte. Nirgendwo war Blut zu sehen, nachdem ich Albert gebeten hatte zu halten, obwohl er eigentlich nicht wollte, dass ich mir das ansah. Aber die Ziegel hatten auf der staubigen Straße tiefe Abdrücke hinterlassen. Der Gedanke, dass das Gleiche, was solche Spuren in den Erdboden gemacht hatte, auch an Jack Spuren hinterlassen haben würde, ließ ein langes, hohes Schluchzen in mir aufsteigen. Aber es gelang mir, diesen seltsamen, beängstigenden Laut zurückzuhalten, indem ich die Hand auf meinen Mund presste und

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