Wenn Die Nacht Anbricht
zurück.«
»Das ist doch schon mal was«, sagte sie. »Ich find, er ist ein netter Bursche.«
Nachdem das Geschirr verstaut und die Essensdosen gepackt waren, holte sie die Schüssel zum Brotbacken heraus, eine tiefe Holzschüssel, die so groß war, dass Tess sich beinahe hätte hineinsetzen können. Ich sah ihr zu, wie sie das Mehl siebte, das Natriumkarbonat und die Buttermilch abmaß. Ihre Hände wurden in der Küche niemals schneller, hielten aber auch nie still. Sie tanzten von Schüssel zu Krug zu Löffel zu Spülbecken zu Geschirrtuch, schütteten und rührten und wischten und maßen und probierten. Ich liebte es, der Spur ihrer Hände zu folgen.
»Scheint aber anstrengender zu sein, als sich mit den Mädchen zu unterhalten«, meinte ich.
»Wie kommst du darauf?«
Das war typisch Mama: Sie verstand es, einen zum Reden zu bringen, nachzubohren und nachzuhaken, damit man selbst die Wahrheit hinter dem entdeckte, was man gesagt hatte. Sie verschwendete nicht viel Zeit mit Reden, und sie wollte auch nicht immer erklären, wie man Probleme lösen konnte. Aber dafür hörte sie den ganzen Tag lang zu und hielt uns dazu an, weiterzusprechen, bis wir wussten, was wir wirklich hatten sagen wollen.
»Man weiß nie, was Jungs denken.«
»Ich hab auch nie gewusst, was Mädchen denken.« Sie rührte und zerdrückte die Hefe in einigen Löffeln heißen Wassers. »Die Hefe zerschlagen«, nannte sie das. Wenn sie nicht gut genug zerschlagen war, ging der Teig nicht auf.
»Na ja, stimmt, aber …« Ich musste noch mal ansetzen. »Bei Jungs muss man rausfinden, wieso sie überhaupt mit einem reden, und dann, was sie von einem halten.«
»Ich dachte, keiner von denen interessiert dich.«
»Stimmt.«
»Dann ist’s doch egal, was sie denken – oder nicht?«
Ich sog den süßen, schweren Hefeduft ein. Die ganze Küche roch danach. »Aber man muss rausfinden, was man selbst von ihnen hält.«
»Ah«, sagte sie. »Jetzt versteh ich.«
»Was verstehst du?«
»Was dich beschäftigt.«
»Dass Jungs schwer auszumachen sind?«
Sie hatte ihre Hände inzwischen im Teig, knetete und wendete ihn. »Dass du nicht weißt, wie man herausfindet, bei welchen es sich lohnt, sich Gedanken zu machen, und bei welchen nicht. Streu mal Mehl auf den Tisch, ja?«
Ich trat zwischen sie und den Sack mit Mehl, und sie rückte die Schüssel beiseite, um mir Platz zu machen, damit ich eine Handvoll Mehl auf der Tischplatte verteilen konnte. Ich glättete es mit der flachen Hand, ehe sie den Teigklumpen in die Mitte gab und ihre Hände an den meinen rieb, um sie zu bestäuben. Sie machte immer vier oder fünf Brote auf einmal, die eine Woche reichten.
»Wie habt ihr euch denn kennengelernt, du und Papa?«, wollte ich wissen, während sie konzentriert den Teig auseinanderzog.
»Neben einem großen Lagerfeuer. Ich bin zusammen mit meinem Papa dahin, und Albert kam zu mir und hat sich vorgestellt.«
»Warum ist er zu dir gekommen? Hat er dich sofort gemocht, noch bevor ihr miteinander gesprochen habt?«
»Ich hätte mir beinahe die Haare verbrannt. Und das hat vielleicht seine Aufmerksamkeit auf mich gezogen.«
»Wie hast du ihn gefunden? Was hast du gedacht?«
Das Mehl bedeckte ihre Handgelenke, und sie hatte etwas davon auf ihrer Wange. Mit dem kleinen Finger fasste sie den Knauf der Schublade und holte das Nudelholz heraus, ohne auch nur eine Spur von Mehl zu hinterlassen.
»Ich fand ihn nett. Mochte seine Augen. Und meinem Papa gefiel er auch.«
»Hast du gedacht, dass du ihn mal heiraten würdest?«
»Gütiger Himmel – nein!«
»Und wann hast du deine Meinung geändert?«
Sie drehte sich zur Seite, die Hände noch immer auf dem Nudelholz, und lehnte sich gegen das Spülbecken. »Er hat mich gefragt, und ich hab Ja gesagt.«
Das war ganz und gar nicht die Antwort, die mich interessierte. »Aber woher hast du’s gewusst?«
»Was gewusst?«
»Dass du ihn heiraten willst?«
Sie hörte auf, den Teig auszurollen, und hielt ihre mit Teig und Mehl bedeckten Hände nach unten. Dieser Augenblick des Nachdenkens dauerte lange genug, damit sie sich mit dem Arm über die Stirn wischen und einen tiefen Seufzer ausstoßen konnte.
»Er war ein guter Mann. Gut zu mir. Ich mochte seine Gesellschaft.«
Mama war noch nie eine große Rednerin gewesen. Und sie war auch nicht das, was man eine romantische Seele nannte.
Ich fragte mich, was für eine Art von Seele ich wohl sein mochte.
Albert
Am Ende der Nachmittagsschicht war
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