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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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geträumt habe ich auch nicht mehr von ihr. Als ob sie weitergezogen wäre. Ich glaub, sie ist aus Mitgefühl bei mir geblieben, weil sie wusste, dass ich Trost brauchte. Vielleicht dachte sie, dass ich erst mal mit seinem Verlust zurechtkommen muss, und deshalb ist sie bei mir geblieben, bis ich nicht mehr so stark gelitten hab.«
    Ich versuchte mir Tante Celia vorzustellen, wie sie dagesessen und in ihrem Schoß ein Kind statt einer Kautabakdose gehalten hatte. Wie sie glücklich zufriedene Mutterlaute von sich gegeben und mit einem kleinen Lockenkopf geredet hatte, anstatt auszuspucken und ihren Finger in den Kaffee anderer Leute zu stecken.
    »Ich hab nicht das Gefühl, als ob das Baby das aus Mitgefühl macht«, sagte Tess. »Es tröstet mich nicht. Es macht mich traurig. Nur traurig.«
    »Ich mein damit auch nur, dass es eine Verbindung zu dir hat und du zu ihm«, insistierte Tante Celia und zeigte mit dem Finger auf Tess. »Aus welchem Grund auch immer. Klingt eher so, als bräuchte das Baby den Trost und nicht du.«
    »Was soll ich machen?«, wollte Tess wissen.
    »Na ja«, meinte sie. »Du kannst rausfinden, wer es war. Find raus, wer den kleinen Jungen in den Brunnen geworfen hat, und vielleicht findet er dann seinen Frieden.«
     
    Albert
    Die Hälfte meines Lebens verbrachte ich damit, Dinge aus der Erde herauszuholen, und die andere damit, etwas in sie hineinzulegen. Einerseits versuchte ich, mich von oben in die Erde hinunterzugraben, und andererseits betete ich, von dort unten wieder heil heraufzukommen. Die Pächter – in diesem Jahr hießen sie Talbert – bebauten für mich die hundert Morgen Land an der Straße. Dafür bekamen sie ihren Anteil. Aber das Feld gleich neben unserem Haus bepflanzten wir selbst. Wir fünf setzten Kartoffelpflanzen, Tomaten und Paprika ein und verbrannten uns dabei die Nasen und machten unsere Hände rabenschwarz.
    Die Sonne brannte, und die Hitze und der Schweiß, der an mir herunterlief, beruhigten mich. Der Unterschied zwischen dem Geruch des Erdbodens, wenn er warm und feucht war und voller Gurken, Tomaten, Wassermelonen und Mais, und dem kargen Dreck, in dem nur schwarzer Stein heranwuchs, war riesig. Ich genoss es, dieses Gedeihen und das Grün in mich aufzusaugen, lungenweise Erbsen und Kürbis und Erde einzuatmen, anstatt vorsichtige, kleine Züge zu nehmen, um erst einmal zu prüfen, ob sich irgendwo Grubengas angesammelt hatte.
    Beim Erbsenpflücken musste man sich zwar herunterbeugen, aber ich konnte mich jederzeit aufrichten. Diese Freiheit dämpfte die Schmerzen. Leta wollte am Samstag Kürbis und Erbsen einmachen.
    »Ist die reif, Pop?« Jack streckte seinen Kopf durch die Tomatenpflanzen hinter mir, wobei seine Haare wie bei einem Specht nach oben standen. Ich drehte mich zu ihm um, und er rollte neben der Tomatenreihe eine Wassermelone entlang, die doppelt so groß wie sein Kopf war.
    »Wie ich seh, hast du sie schon gepflückt«, erwiderte ich.
    »Ich musste sie dir doch zeigen, um dich zu fragen.«
    »Hast du nicht daran gedacht, mich erst mal zur Melone zu bringen?«
    »Ich wollte dich nicht stören.« Seine Augen waren groß und unschuldig. »Du arbeitest doch.«
    Kluger Junge. Ich schwor mir immer wieder, dass er nie das Innere einer Grube sehen würde. Er würde auf eine Handelsschule gehen, vielleicht Rechtswissenschaften studieren. Und jeden Tag der Woche würde er saubere Fingernägel haben.
    »Ich nehm an, du magst zum Nachtisch Wassermelone«, sagte ich.
    »Ja, Sir.«
    Die Melone sah reif aus, und ich ging hin und klopfte darauf, ehe ich sie hochhob, um an der Stelle zu riechen, wo sie mit der Pflanze verbunden gewesen war. Ich konnte ihre Süße wahrnehmen.
    »Sie ist gut. Dann lauf, und bring sie deiner Mama.« Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel: Die Melone wog mindestens zwanzig Pfund. Aber er schob seine Arme darunter, bis seine kleinen Hände auf der anderen Seite auftauchten. Ehe er jedoch dazukam, sie hochzustemmen, unterbrach ich ihn.
    »Geh in die Knie, und heb sie nicht mit dem Rücken.«
    »Mein Rücken kann das, Sir«, sagte er, wobei er noch immer vornübergebeugt stand. Seine Füße waren nackt, und zwischen den Zehen konnte man die Erde hervorquellen sehen.
    »Junge, das wär so, wie wenn ich eine Wassermelone von der Größe eines Automobils hochheben wollte.«
    Er ging ein wenig in die Knie, wuchtete jedoch das meiste Gewicht mit dem Rücken. Ich ließ ihn. Meinen Kindern konnte man nichts sagen, sobald sie einmal eine

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