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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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schmeckst?«
    »Tess«, rügte ich sie. Aber Papa verschluckte sich vor Lachen beinahe an seinem Kaffee, während Tante Celia nur den Kopf zur Seite neigte.
    »Hab damit bisher keine Schwierigkeiten gehabt«, sagte sie und sah aus, als würde sie am liebsten gleich noch mal ausspucken, um ihre Aussage zu bekräftigen. Stattdessen trank sie allerdings einen Schluck Kaffee. »Hat dich schon mal jemand geküsst, Virgie?«, fragte sie und wandte sich an mich.
    Ich vermochte Papa nicht anzuschauen, und den Mund bekam ich auch nicht auf, um ihr zu antworten. Also schüttelte ich nur stumm den Kopf, während Papa ganz selbstverständlich und gelassen meinte: »Sie ist erst vierzehn, Celia. Dräng sie nicht.«
    »Beinah fünfzehn«, entgegnete sie und zwinkerte mir zu. »Du hast Leta geheiratet, als sie sechzehn war.«
    »Das waren andere Zeiten.«
    »Weil ihr Daddy dir nicht die Haut abgezogen hat, so wie du das vorhast, wenn der erste Junge hier auftaucht?«
    »Mm.« Er nickte, aber blickte aufs Feld hinaus. Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, schob er sich mit einer raschen Bewegung den Hut in den Nacken. »In einer Stunde wird’s dunkel«, erklärte er und drückte kurz Tante Celias Schulter. »Ich sollte besser fertig werden. Vergiss nicht, Letas Küchlein mitzunehmen, und grüß Mama von mir.«
    Ich war froh, dass mich Tante Celia nicht weiter ausgefragt hatte.
    Papa polterte die Stufen hinunter, und ich lehnte mich gegen das Verandageländer, wobei ich die Füße gegen die Hauswand stemmte. So konnte von der Straße aus niemand unter mein Kleid sehen. »Hoffentlich erwischt der Sheriff die Wahnsinnige, die das gemacht hat«, sagte Tante Celia.
    »Glaubst du, sie ist wahnsinnig?«, fragte ich.
    »Irgendwie kann sie nicht mehr alle Tassen im Schrank haben.«
    »Was glaubst du, wer es war?«, wollte Tess wissen.
    »Weiß nicht. Aber du solltest dir um das Baby und nicht um die Mutter Sorgen machen, Tessie Lou.«
    »Was meinst du damit?«
    »Du hast gesagt, dass du von ihm träumst. Wenn du das Gefühl hast, dass es mit dir reden will, dann hast du eine Verantwortung.« Ha-ick puh.
    »Und was soll ich tun?« Tess wirkte verwirrt.
    »Ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen.«
    »Wie?«, wollte ich wissen.
    »Ihr beide wisst von meinem Baby?«, erwiderte sie so gelassen, als hätte sie gerade gefragt, ob wir schon ihren neuen Hut kennen würden.
    Wir antworteten eine Weile nicht. Eine halbe Ewigkeit verging. Sie schaukelte vor und zurück, während wir reglos wie zwei Steine verharrten. Schließlich fragte ich: »Du hattest ein Baby?«
    »Ja«, erwiderte sie. Tante Celia war lange Jahre verheiratet gewesen – das wusste ich. Ihr Mann war wie alle in unserer Gegend Bergarbeiter gewesen und gestorben, bevor ich auf die Welt kam. Etwas Bösartiges in seinem Körper. »Ich hatte nur die eine, und sie ist zu früh auf die Welt gekommen«, fuhr Tante Celia fort. »Hat drei Tage gelebt, dann musste ich sie oben in Pisgah begraben. Marcus lag schon im nächsten Jahr neben ihr.«
    »Wer ist Marcus?«, fragte Tess.
    »Mein Mann.«
    »Dein Mann?« Tess sah mich auffordernd an, als hätte ich empört aufspringen und rufen sollen: Nein, Tante Celia kann doch nicht einen Mann und ein Kind gehabt haben, die sich beide in Luft aufgelöst haben, so dass nichts als eine Geschichte von ihnen zurückblieb!
    »Ja, mein Mann«, wiederholte sie. »Aber eigentlich wollte ich euch was anderes erzählen. Nachdem mein kleines Mädchen tot war, hat sie mich in meinen Träumen besucht. Da konnte sie schon krabbeln, also nicht so wie im Leben. Sie war älter, hatte volle Wangen und eine rosige Farbe. Quäkend und glücklich. Manchmal kam sie auch, wenn ich wach war. Nicht wie in einer Vision, ich konnte ihr Gewicht auf meinem Schoß spüren, konnte die Wärme ihres kleinen strampelnden Körpers spüren. Das ging etwa ein Jahr so, und eine Weile glaubte ich, den Verstand verloren zu haben. Aber dann fiel Marcus plötzlich draußen auf dem Hof tot um. Es ging so schnell wie ein Wimpernschlag, und ich hab angefangen, mich nach diesem Gewicht auf meinem Schoß zu sehnen, wie ich mich noch nie zuvor nach etwas gesehnt hatte. Ich hab stundenlang auf meinem Schaukelstuhl gesessen und darauf gewartet, dass sie kommen würde. Hab sie nie mehr gesehen, aber oft gespürt … Sie gehalten. Sie in meinen Armen hin und her gewiegt und ihr was vorgesungen.
    Etwa ein Jahr nach Marcus’ Tod ist sie dann nicht mehr gekommen. Ich spürte sie nicht mehr, und

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