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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht Kostenlos Bücher Online Lesen
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einem großen Feuer, das vom Pearce Hotel bis zu Sweat’s Restaurant wütete, der Großteil des Städtchens ab. Danach wurden Ziegelhäuser gebaut, Straße um Straße, Block für Block.
    Carbon Hill war stets eine von der Natur geprägte Stadt gewesen. Wind, Erde und Feuer hatten immer wieder im Tausch gegen die Kohle, die wir abbauten, ihre Opfer gefordert. Als größte Naturgewalt, die Carbon Hill jemals erlebt hatte, stellte sich jedoch ein Mann in einem Rollstuhl heraus.
    Albert
    Die Sonne hatte die Farbe einer Grapefruit angenommen, als Cecil Bannon – wir nannten ihn Ban – und Oscar Jones bei uns vorbeischauten. Leta hatte gerade abgespült und es sich in ihrem Schaukelstuhl bequem gemacht, da hörten wir sie von der Straße heraufrufen. Als sie die Stufen der Veranda hochstiegen, war leicht zu erraten, was sie zuvor gemacht hatten. In Bans Atem konnte ich noch den Selbstgebrannten riechen. Aber er wusste, dass er seinen Flachmann auf meiner Veranda gar nicht erst herauszuholen brauchte. Meine Kinder kannten Alkohol nur aus irgendwelchen Geschichten, und ich wollte nicht, dass sich das so schnell änderte.
    Ban und Oscar waren keine Männer, die sich von wenigen Gläsern aus der Fassung bringen ließen. Sie gingen noch aufrecht, hatten mehrere Stufen auf einmal genommen und nickten Leta höflich zu. Solange sie ihnen nicht zu nahe kam und ihren Atem roch, würde sie nichts merken … Oder jedenfalls würde sie sich nicht gezwungen sehen, zuzugeben, dass sie etwas bemerkt hatte. Sie begrüßte die beiden und erhob sich dann von ihrem Stuhl, winkte ab, als Ban und Oscar meinten, sie solle sich keine Umstände machen, und ging zu den Mädchen hinüber. Deshalb vermutete ich, dass sie etwas gerochen hatte, aber gewillt war, es zu verzeihen. Geschmeidig wie ein herabfallendes Blatt glitt sie zur obersten Stufe und zog Tess an sich, um ihre Haare zu glätten. Da ich sie beobachtete, hörte ich nicht, was Oscar sagte.
    »… meint, dass Peter nie mehr sehen wird. Blind wie ein Maulwurf.«
    »Wir dachten uns, wir bringen ihm, was wir können«, meinte Ban.
    Pete war zu DeBardeleben nach Birmingham gegangen, nachdem er seine Arbeit bei Galloway verloren hatte. Vor einem Monat hatte er dort bei einer Explosion sein Augenlicht verloren. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde er sich noch einmal erholen. Er trug seitdem einen Verband über den Augen und hatte gehofft, dass sie so gut wie neu sein würden, wenn er ihn erst einmal abmachte. Das hatte ich jedenfalls gehört.
    »Hat DeBardeleben jemand geschickt?«
    »Er und seine Frau haben nur etwas Kleingeld gekriegt«, erwiderte Oscar. Er war ein Block von einem Mann, klein und mit Armen, die so dick waren, dass man kaum die Ellbogen sehen konnte. Seine Frau war dreimal so breit wie Leta und hätte vermutlich in keinen unserer Schaukelstühle gepasst. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass er jedes Mal in die Mitte der Matratze rollen musste, wenn sie ins Bett kam. Ihr wäre es bestimmt ein Leichtes gewesen, den Deckel von unserem Brunnen zu wuchten.
    »Ja, wir sollten für ihn sammeln«, meinte ich.
    »Nächste Woche kommen sie wieder zurück«, sagte Oscar und legte seine Füße aufs Geländer. »Die Frau hat hier Familie, die helfen kann. Wir dachten, du kannst das Geld sammeln, wenn es dir nichts ausmacht. Den Kumpeln wär’s lieber, wenn du’s verwaltest.«
    Ich nickte. Ich wusste zwar, dass Oscars Frau in letzter Zeit kein Kind bekommen hatte, aber es wäre vermutlich auch niemandem aufgefallen, wenn sie schwanger gewesen wäre. Sie kam mir aber nicht wie eine grausame Frau vor. Sie gab Oscar immer ein gutes Mittagessen mit und legte hier und da auch ein paar Ingwerkekse dazu.
    Normalerweise machte ich mir keine Gedanken über andere Frauen. Leta war Leta, und es schien nicht richtig zu sein, sie mit den anderen in einen Topf zu werfen. Die anderen bestanden aus Kleidern und kleinen Händen und Haaren, die in komplizierte Knoten gewickelt waren. Bans Ehefrau war einfach nur seine Ehefrau. Oscars Frau – auch wenn mich ihr Umfang verblüffte – war nichts weiter als seine Frau. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was unter diesen komplizierten Haarknoten vor sich ging.
    »Du hast nichts dagegen?« Oscar lehnte sich zurück und schloss einen Moment lang die Augen. Auch vorher hatte er mich nicht angesehen.
    Ich hörte auf, über Ehefrauen nachzudenken. »Nein, natürlich nicht. Klar sammle ich das Geld.«
    Wir hatten so etwas schon oft gemacht.

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